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1. bis 8. Januar 1814

Blüchers Rheinübergang zu Kaub 1. bis 8. Januar 1814

Die Völkerschlacht bei Leipzig war geschlagen, der Rheinbund zertrümmert. Der Korse war vom deutschen Boden verjagt und hatte sich über den Rhein geflüchtet. Hinter ihm und seinen Truppenresten her zogen, zum ersten Mal wieder in Waffen geeint, die deutschen Stämme, Preußen an der Spitze, im Bündnis mit den Österreichern und Russen nach dem Rhein. Allen voran, als Führer der Schlesischen Truppen der ewig-junge, kampfesfröhliche Marschall „Vorwärts“, der alles Welsche aus vollstem Herzen haßte und es nicht erwarten konnte, bis er den “Hundsfott von Bonapart, den verdammichten Kujon“, wie er ihn betitelte, vor die Klinge bekam. Aber noch hatten die Franzosen das linke Rheinufer besetzt und es hieß; mit Geschicklichkeit und Vorsicht zu Werke gehen, sollte der gewaltige Plan gelingen. In der Neujahrsnacht sollte der erste große Schlag, der Rheinübergang erfolgen, und zwar gleichzeitig an drei Stellen, zu Mannheim, Koblenz und Kaub. Heute noch tönt der Name Blücher wie ein fröhlicher Trompetenton in das Gedenken an jene große Zeit hinein, die auch unsere St. Goarshäuser Männer mit am Werk gesehen hat.
Schon am 6. November 1813 war der preußische Leutnant von Rothkirch mit 21 berittenen Jägern in St. Goarshausen erschienen, hatte eine französische Streifwache verjagt und insgeheim mit dem Schultheiß Peter Wäppner wegen der Beteiligung St. Goarshäuser Schiffer bei dem geplanten Rheinübergang verhandelt. Man hatte für diesen ursprünglich St. Goarshausen im Auge gehabt, der bequemen Tälerverbindung wegen, fand aber dann, daß der Übergang zu Kaub mit der Pfalz für den Brückenbau geeigneter sei. Trotzdem wurden späterhin auch zu St. Goarshausen Blüchersche Truppenteile mittels Nachen übergesetzt.
Es kam der denkwürdige letzte Tag des Jahres 1813. Ein frostklarer Himmel spannt sich über die verschneiten Berge. Der Rhein geht mit Eisschollen. Man hört, von dem Forstbachweg herunterkommend, Pferdegetrappel. Die Gassen füllen sich mit Menschen. Man ahnt, daß etwas Großes im Gange ist. Der preußische Rittmeister von Rothenburg erscheint mit einer Abteilung Husaren. Sie biegen nach dem „Plan“ ein, dem Marktplatz, an dem das alte Rathaus steht. Unter vier Augen verhandelt der Rittmeister mit dem Schultheiß Wäppner. Bald darauf schwingt der Ortsdiener seine Schelle durch die Gassen: „Alle Schiffige haben sich um 12 Uhr im Ratshaus einzufinden!“
Um Mittag sind sie pünktlich zur Stelle: Schiffer, Fischer und Schiffbauer. Der Husarenoffizier hält eine vaterländische Ansprache, sagt ihnen, daß die Stunde gekommen sei, wo jeder Deutsche, auch der einfachste Mann, sein Teil, und sei es auch noch so bescheiden, zu dem Gelingen des großen Befreiungswerkes beitragen müsse, und läßt dann die Liste vorlesen, mit den Namen der 1o Männer und Burschen, die zur Mithilfe beim Rheinübergang verpflichtet werden.
Neun davon sind dem Namen nach bekannt. Es sind folgende: Georg Philipp Menges, Gottfried Menges, Heinrich Klein 3, Ernst Deinet sen., Johann Philipp Wäppner, Justus Ernst Colonius, Georg Baus, Johann Philipp Deinet, Georg Philipp Deinet.
Außer diesen “Schiffigen“ wurden noch folgende fünf Schiffbauer verpflichtet:
Georg Heinrich Greiff, Karl Klein, Christoph Wäppner, Ernst Deinet, Heinrich Klein.
Aber es gab noch eine schwierige Frage: Wie sollten die St. Goarshäuser Nachen nach Kaub gelangen? Flußwärts wäre das zu gefährlich gewesen. Drüben saßen noch die Franzosen, die sofort Lunte gerochen hätten. Es blieb also nichts anderes übrig, als sie mit Pferdefuhrwerk über Land zu karren, unsichtbar für den Feind, auf dem Wege über Bornich und Weisel. Um aber die Beförderung nicht allzusehr zu erschweren, einigte man sich dahin, daß nur die Nachen des Georg Philipp Menges und des Georg Baus mitgeführt wurden.
Um 6 Uhr abends bei einbrechender Dunkelheit erfolgte der Abmarsch, an der Spitze die preußischen Husaren als Geleit, dann die zwei Pferdewagen mit den Nachen, und am Schluß die 15 Schiffer und Schiffbauer, denen zur Sicherheit noch einige Husaren folgten, je näher sie Weisel kamen, desto größere Schwierigkeiten gab es, denn alle Wege waren mit Truppen, Geschützen, Munitionswagen usw. überfüllt. Nicht weniger als 100.000 Mann lagen auf den Höhen um Kaub. Trotzdem gelang es ihnen, um 9 Uhr abends in guter Ordnung in Kaub anzulangen, wo die Nachen zunächst auf dem alten Kirchhof versteckt wurden, bis die Stunde kam, da man sie brauchte.
Und ein Zwischenfall verdient noch der Erwähnung. Die St. Goarshäuser hatten es sich nicht nehmen lassen, einen fetten Rheinsalmen mitzunehmen, um ihn dem Marschall Blücher zu verehren. Daß später der Fisch in der St. Goarshäuser Kriegskostenrechnung mit 28 Florin und 48 Kreuzer erschien, darf man ihnen nicht verargen. Es ging ihrer Ansicht nach alles auf Kosten des “Napolium“ und ihm durfte man doch nichts schenken.
Das Rheinstädtchen Kaub glich an diesem Tage einem großen Truppenlager. Vom Rheinufer die Bergschlucht hinauf bis zu dem Dorfe Weisel und darüber hinaus stand die Avantgarde der schlesischen Armee, der ein russisches Korps unter Graf Langeron angegliedert war. Alles war wunderbar angeordnet. Russische Schiffszimmerleute hatten schon Wochen vorher in den Wäldern um Weisel Bäume gefällt, Bohlen und Schiffsrippen geschnitten und zu Brückenschiffen zusammengefügt. Über lodernden Feuern hingen mächtige Teerkessel. Sobald die Flüssigkeit bereit war, wurden die Schiffsgestelle mit Teer überstrichen, mit starkem Segelleinen bespannt, dieses wieder geteert und eine neue Lage Segeltuch darübergezogen, bis der Überzug zu einer lederartigen, wasserdichten Haut geworden war. An unserer heutigen Schiffsbaukunst gemessen, war das Ganze ungeheuer dürftig und kunstlos, aber die Werkzeuge fehlten und es handelte sich darum, rasch und unauffällig zu arbeiten, damit die 73 Brückenschiffe, die für den Brückenbau über den Rhein erforderlich waren, rechtzeitig zum Jahresende fertig standen.
Waren aber die Russen auf der einen Seite willkommene Helfer, so bildeten sie auf der andern Seite für die Bewohner von Kaub und Umgebung eine wahre Landplage, genau wie sie es in St. Goarshausen waren. (Siehe vorhergehendes Kapitel 1) Sie stahlen, was nicht niet- und nagelfest war, fahndeten überall nach „Wutki“ (Schnaps), bedrohten die Einwohner, wenn sie ihnen nicht zu Willen waren, und das Schlimmste von allem: sie brachten nicht nur Läuse in üppiger Fülle mit, sondern verbreiteten auch Krankheiten und Seuchen. Mit Ungeduld wartete man auf die Ankunft Blüchers.
Der große Augenblick kam. Unter unendlichem Jubel des Volkes und der Soldaten hielt der siebzigjährige, weißhaarige Kämpe, von der Weiseler Höhe kommend, um 4 Uhr nachmittags seinen Einzug in Kaub, begleitet von den Generälen Gneisenau, York, Hünerbein, Müffling und anderen Offizieren seines Stabes. Platzkommandant von Kaub war Oberstleutnant von Klüx, der alle örtlichen Vorbereitungen für das große Unternehmen mit der erforderlichen Umsicht getroffen hatte.
Blücher hatte sein Quartier im Gasthof “Stadt Mannheim“ zu Kaub genommen, der heute noch ein sehenswertes Blücher-Museum birgt. Alsobald stellte sich dort auch der junge St. Goarshäuser Schiffer Georg Philipp Menges (der Großvater des Verfassers) ein, denn er wollte doch seinen Salmen loswerden, den er schon seit einer Stunde in einem Weidenkorb verpackt auf der Schulter trug. Es war nicht leicht für ihn, in dem Gewimmel von Ordonnanzen und Stafetten Zutritt zu erlangen. Und es war ihm nicht wenig beklommen zumut, als er vor dem Kriegshelden stand und ihm mit ein paar gestammelten Worten im Namen der St. Goarshäuser Fischerzunft den Fisch überreichte. Aber der alte Haudegen klopfte ihm vergnügt auf die Schulter und sagte: “Det is brav von dich, mein Sohn, daß du an mich gedacht hast! Weeßte, Neujahrpräsente haben sie mich schon massig zujestoppt, aber so wat Scheenes aus dem Rhein, det krieg ick heite zum ersten Mal! Dafor sollst du ooch en zinftigen Husarenschnaps haben!“
Und zur Wirtin sich wendend, rief er: “Mudder Kilp, den Salm da läßt Sie heit abend zurechtmachen, for mich und die Offiziere. So en leckeren Sylvesterhappen hat man nich alle Tage. Un vergeß Sie nich, ein paar gute Pullen dabeizustellen. Wer weeß, wann wir wiedermal Rheinwein zu trinken kriegen. Da driben bei die Schelmfranzosen gibt es so wat nich.“
Und Mutter Kilp nahm den Salm und wollte ihn in die Küche tragen, da er aber zu schwer für sie war, denn er wog nahezu 30 Pfund, so übernahm der Georg Philipp Menges das Amt und bekam dann von Ihr auch den versprochenen „zinftigen Husarenschnaps“.
Inzwischen hörte man Blücher in seiner Stube lärmen und fluchen. Er hatte Grund, sich wiedermal über die “Verfluchtigen Diplomatiker“ zu ärgern, die immer wieder verdarben, was das Schwert mühsam errungen. In letzter Stunde – die Truppen standen schon marschbereit – war aus dem großen Hauptquartier zu Frankfurt a.M., wo König Friedrich Wilhelm III., der russische Kaiser Alexander und der österreichische Generalissimus Fürst Schwarzenberg ihre gewohnte Zauderpolitik trieben, Gegenbefehl eingetroffen, dahin lautend, den Rheinübergang zu unterlassen, da er unmöglich erscheine, und außerdem im Hinblick auf die auf der linken Rheinseite stehenden französischen Truppenteile höchst gefährlich sei. Aber sie kannten den alten Haudegen immer noch nicht, der mit einem furchtbaren Fluch auf die “Federfuchsers“ kurzweg erklärte:
“Dat et keen Spaziergang ist, det weeß ick. Aber nu erst recht! Wenn der Bonapart sagt: “Impossible – dat Wort kenn – ick nich“, dann sag ick: “Unmöglich – det Wort kenn ick ooch nicht“ – Und dabei blieb es.
Den Schiffern wurde bekannt gegeben, sich um 6 Uhr abends in der Kauber reformierten Kirche zu versammeln, wo Pfarrer Ahlers eine vaterländische Ansprache an die Gemeinde hielt und Feldmarschall Blücher, sowie der Stadtkommandant von Klüx den Schiffern die Bedeutung der Stunde klarmachte und sie auf die Bibel schwören ließ. Nach Beendigung des Gottesdienstes mußten die Schiffer in der verschlossenen Kirche bleiben, um damit vorzubeugen, daß irgend etwas durchsickere.
Erst bei völliger Dunkelheit, um 9 Uhr abends, brachte man sie unter militärischer Begleitung ans Rheinufer. Zunächst galt es, die Nachen in Bereitschaft zu setzen, die am Ufer und zum Teil auf dem Friedhof versteckt gehalten worden waren. Während dem hatten die Russen mit der Heranbringung der Brückenschiffe und dem Aufschlagen der Brücke begonnen. Bis zur Mitternachtsstunde sollte sie fertig sein, aber das Unglück wollte, daß die Brücke unter der Gewalt der Strömung zweimal riß, weil die Russen sich zum Befestigen der Pontons nicht der schweren Rheinanker bedienen wollten. Blücher fluchte wie ein Berserker über die eigensinnigen “Moskowiters“ und da er zu ungeduldig war, auf die Fertigstellung der Brücke zu warten, gab er Befehl, mit dem Übersetzen durch Kähne zu beginnen.
Und so kam die denkwürdige Stunde, da der Rheinübergang einsetzte und die Kauber und St. Goarshäuser Schiffer ihr schweres Werk begannen. Denn es war nicht so leicht, gegen die treibenden Eisschollen anzukämpfen und in jedem Nachen dicht gedrängt 15 – 18 ungeduldige Soldaten mit Waffen und Schießvorräten unbemerkt nach drüben zu bringen.
Die ersten waren 200 Füsiliere des Brandenburgischen Infanterieregiments unter Führung des Majors Graf von Brandenburg und des Hauptmanns von Arnauld, die in der Silvesternacht um 2 1/2 Uhr in 15 Kähnen die Überfahrt eröffneten.
Die Nacht war frostklar und sternenhell. Die Dächer der Pfalz schimmerten in schneeigem Weiß. Zum Glück lagerte über dem Strom ein leichter Nebel, der, als sei er eigens zu diesem Zweck bestellt worden, Menschen und Fahrzeuge in seinen Schleier hüllte, so daß der französische Posten, der in dem jenseitigen Zollhaus lag, von dem Vorgang nichts merkte, bis plötzlich das deutsche Hurra, das die ersten Ankömmlinge drüben trotz Verbots in ihrer Begeisterung ausriefen, die Berge widerhallen ließ. Der Wachtposten gab Feuer, wurde aber von dem Gegenfeuer der auf der Pfalzinsel festgesetzten preußischen Jäger in die Flucht getrieben. Bei Anbruch des Tages hatten bereits an 4000 deutsche Krieger das linke Ufer besetzt, denen es gelang, die um 10 Uhr morgens mit 4 Kanonen und einer Haubitze erschienenen Franzosen zu verjagen. Die Brücke selber wurde erst am 2. Januar morgens um 9 Uhr fertig. Und nun begann der eigentliche Übergang des Heeres. Unter schallender Musik zogen sie hinüber, acht Tage lang, Regiment auf Regiment, Fußvolk und Reiter, Kanonen, Wagen und Troß. Immer neue Massen drängten sich aus den engen Kauber Gassen heraus, immer neue Truppenteile, von der Höhe die Weiseler Straße herunterkommend, rückten nach:
Graubärtige Landwehr von Acker und Herd
Und rotwangig-junge Gesellen,
Das Sturmband ums Kinn, die Faust an dem Schwert,
Des Volkes zornbrandende Wellen.
Die leichte Brücke ächzte schwer unter der Last der Geschütze, unter den Hufen der Rosse und dem kräftigen Tritt der Regimenter. Deutsche Lieder erfüllten die Luft und weckten das Echo der Berge. Russische Baschkiren auf ihren kleinen zottigen Steppenpferden sangen ihre heimatlichen Weisen. Ein großer Völkerfrühling war mit dem neuen Jahr gekommen und der Vater Rhein horchte in freudigem Erwachen erstaunt auf.
Am 8. Januar 1814 war der Rheinübergang beendet und mit ihm begann der Siegeszug der verbündeten Heere, bis sich ihnen am 31. März 1914 die Tore von Paris öffneten.

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Die hier vorgestellten Ansichten entsprechen weder denen der Urheber dieser Internetseite noch möglicherweise dem modernen Stand der Geschichtsforschung.

Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.