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1479 – 1626

St. Goarshausen unter den Landgrafen von Hessen-Kassel 1479-1626

Ein Herrscherwechsel hatte in alter Zeit für Land und Volk eine weit tiefgehendere Bedeutung als heute. Nicht nur die staatspolitischen Verhältnisse wurden davon berührt, sondern auch die wirtschaftlichen und nicht zuletzt die des Glaubens. So auch in unserer Heimat. Durch den Übergang an das mächtige Herrscherhaus der Landgrafen von Hessen wurde die Niedergrafschaft Katzenelnbogen aus ihrer bisherigen kleinstaatlichen Beschaulichkeit herausgerissen und in das große politische Geschehen gezogen, das seine Wellen über Deutschland schlug.
Auch andere bedeutsame Umstände spielten mit. Das Jahr 1492 brachte die Entdeckung Amerikas, die dem Handel und Verkehr völlig neue Wege wies. Wenn sich diese auch nur langsam auswirkten, so war doch bald zu erkennen, daß unserm Heimatstrom dem Rhein, eine gewaltige Bedeutung aus dem neuen Verkehrsumschwung erwuchs, der die alten Handelsstraßen von Venedig über Augsburg und Frankfurt nach dem Norden lahmlegte und das Schwergewicht auf die Nordseehäfen legte. Nicht weniger einschneidend war die Entwicklung der Feuerwaffen, die dem ganzen Heerwesen ein neues Gesicht gab.
Das Mittelalter war endgültig vorüber. Mit dem Anbruch einer neuen, aufgeklärten und geistig bewegten Zeit war auch in unserm kleinen Gemeinwesen eine frischere Brise eingezogen, obwohl die Leibeigenschaft, also die persönliche Abhängigkeit von dem Willen der Landesfürsten, mit ihrer wirtschaftlichen Unfreiheit noch fortbestand. Die Lösung dieser Frage war erst dem 19. Jahrhundert vorbehalten.
Der erste Fortschritt bestand darin, daß die Niedergrafschaft durch den Übergang an Hessen nach dessen Verfassung das Recht der Beschickung der “Landstände“ erhielt, deren Mitwirkung bei der Aufnahme von staatlichen Anleihen, Bewilligung von Steuern usw. erforderlich war, die also in ihrer Art die erste Form eines Landtages bildeten. Die Bevollmächtigung der für die Grafschaft eintretenden zwei „Deputierten“ erfolgte von vier Landesvorstehern, die ihrerseits durch die Kirchenspielschultheißen gewählt und von der landgräflichen Kanzlei zu St. Goar bestätigt wurden. Die Landstände waren gewissermaßen als Schranke gegen die Macht der Fürsten gedacht und setzten sich zusammen aus dem Adel, den Geistlichen und den nicht reichsfreien Städten, zu denen auch St. Goar gehörte. Die Bauern waren noch ausgeschlossen. Dieser Anfang einer Verfassung bildete in damaliger Zeit immerhin eine rühmliche Ausnahme. Wenn auch der Fürst omnipotent, also allmächtig blieb, so hatte das Volk doch das Gefühl, an den Geschicken seines Landes beteiligt zu sein.
Allerdings, ohne Erbstreitigkeiten lief die Übernahme des kostbaren Katzenelnbogenschen Besitzes nicht ab. Es meldeten sich verschiedene erblüsterne Anverwandte des letzten Grafen und es gab einen langwierigen Prozeß, bei dem der damalige deutsche Kaiser, der Habsburger Friedrich III., eine wenig rühmliche
Rolle spielte. Erst im Jahre 1531 fand der Rechtsstreit durch einen Vergleich sein Ende. Die ersten Herrscher aus dem hessischen Hause: Heinrich III. der Reiche, von Hessen-Marburg (1479 – 1483) und dessen Sohn Wilhelm III. der Jüngere (1483 – 1500) waren tarkräftige Herren, denen es nicht darauf ankam, sich sogar mit der Reichsstadt Köln anzulegen. Diese konnte es nicht verwinden, daß einmal Kölner Kaufleute, die sich beim Durchzug durch St. Goar von der Zollzahlung drücken wollten, auf Rheinfels ins „Stockhaus“ eingesperrt und zur Beherzigung landesväterlicher Bräuche mit Stockhieben bedacht worden waren. Die stolze Domstadt, die sonst gar gewaltig auf ihre Würde pochte, hatte indessen eine solche Hochachtung vor den Rheinfelser Mauern, daß sie keine Fehde wagte, sondern vorzog, die Sache auf gütlichem Wege beizulegen. Man konnte diese Vorsicht verstehen, denn die Burgen Rheinfels und Katz hatten unter Wilhelm III. ein neues, kriegerisches Gesicht bekommen. Er hatte aus der Belagerung der Stadt Boppard seitens des Erzbischofs Johann von Trier, dem er seine Hilfe geliehen, die Einsicht gewonnen, daß gegen die mauernzerstörende Wirkung der neuen Geschütze seine Feste nicht gewappnet sei und dringend eine neuzeitliche Umgestaltung erheische. Er ließ sie nach dem Biebernheimer Feld hin mit gewaltigen Außenwerken, doppelten Wallinien und bombensicheren Wölbungen (Kasematten) versehen, so daß sie jetzt erst zu einer wirklichen und für die damalige Zeit unbezwingbaren Festung wurde.
Ihm folgte in der Regierung sein Vetter Wilhelm II. der Mittlere, von Hessen-Kassel (1500 – 1509). Unseren Nachbarn, den Kaubern, ist der Name dieses Fürsten besonders geläufig, da er ihrer Geschichte zu einem denkwürdigen Ruhmesblatt verhalf. Im bayrisch-pfälzischen Erbfolgekrieg von Kaiser Maximilian mit der Vollziehung der über den Pfalzgrafen Ruprecht verhängten Reichsacht beauftragt, belagerte er im Jahre 1504 Stadt und Feste Kaub sechs und eine halbe Woche lang mit großer Macht und vielen Geschützen, mußte aber nach gewaltiger Bumserei bedröppten Gesichtes den heldenmütigen Verteidigern weichen und unverrichteter Sache wieder abziehen, wie dies eine an der alten „Rezeptur“ angebrachte Steintafel heute noch berichtet. Zum dankbaren Gedenken erhielt die Burg damals den Namen Gutenfels.
Schon nach 9 jähriger Regierungszeit rief Wilhelm II. der Tod ab.

Und nun betrat die Weltbühne ein ganz Großer: Landgraf Philipp der Großmütige (1509 – 1567), als Freund Martin Luthers und Gegner Kaiser Karls V. eine der einprägsamsten Gestalten der deutschen Geschichte. Seine Regierungszeit brachte auch für unsere engere Heimat gewaltige, tief ins Volksleben eingreifende Wandlungen. Er führte in das bisher katholische Land die Reformation ein. Die bisherigen Geistlichen wurden vor die Wahl gestellt, entweder zur neuen Lehre überzutreten oder sich mit einer lebenslänglichen Rente von Ihrem Amt zurückzuziehen.
Auch in St. Goarshausen, damals noch ein kleiner Ort mit 810 1/2 Morgen Ackerland, Wiesen und Weinbergen, 39 Häusern und 213 Bewohnern, wurde die lutherische Religion eingführt und als erster protestantischer Geistlicher im Jahre 1528 der Pfarrer Stefan Krugk eingesetzt. Wir beschränken uns hier auf diese kurze Angabe, indem wir auf das Kapitel “Religion und Kirchenwesen“ verweisen, der alles Nähere über die kirchliche Umgestaltung unserer Heimat bringt.
Wie alle politischen und geistigen Umwälzungen hatte auch die Reformation mancherlei tiefwirkende Nebenerscheinungen im Gefolge. Luthers mißverstandene Schrift von der Freiheit des Christenmenschen veranlaßte die geplagte deutsche Bauernschaft, die Waffen in die Fäuste zu nehmen, um das drückende Fronjoch, unter dem sie seit Jahrhunderten seufzte, endlich abzuschütteln. Es entstand der deutsche Bauernkrieg von 1525 mit seinem Morden und Sengen und Brennen und seinem, traurigen Ende. Hier versagte die Reformation. Luther selber wandte den Hilfesuchenden den Rücken zu. Unsere engere Heimat war von der Bewegung verschont geblieben. Dagegen lebt im benachbarten Rheingau heute noch die Erinnerung an das große 54.000 Liter haltende Eberbacher Klosterfaß, das die aufständischen Bauern im Gefühl der neuen Freiheit auf der Wacholderheide unter Lachen und Johlen bis auf den letzten Tropfen geleert hatten. Aber der Katzenjammer blieb auch hier nicht aus. Noch war die Gewalt der Fürsten und des Klerus stärker als der Volkswille. Das Ende war bitter, wie schon das Lied verrät, das damals aufkam:

Als ich auf dem Wacholder saß,
Da trank man aus dem großen Faß.
Wie bekam uns das?
Wie dem Hund das Gras:
Der Teufel gesegnet uns das!

Die endlosen Kämpfe und Fehden Philipps mit Kaiser und Papst zum Schutze der Reformation gehören der deutschen Geschichte an. Wäre der sonst so überragende Herrscher, der schon durch seine verhängnisvolle Nebenehe mit dem Hoffräulein Margarete von Sale die Erbfolgefrage in seinem Lande außerordentlich erschwerte, dem Beispiel der Katzenelnbogener Grafen gefolgt und hätte die Unteilbarkeit seines Reiches zum Gesetz erhoben, so wären unserem Land viele Unruhen und kriegerische Auseinandersetzungen erspart geblieben. Stattdessen bestimmte er in seinem Testament von 1562, daß das Land unter seine vier rechtsehelichen Söhne geteilt werde, mit der Maßgabe, daß der älteste, Wilhelm IV., Niederhessen mit der Residenz Kassel, Ludwig III. Oberhessen mit Marburg, Georg I. die Obergrafschaft mit der Residenz Darmstadt und Philipp II die Niedergrafschaft Katzenelnbogen mit dem Fürstensitz Rheinfels erhalte. Wie die Überlieferung erzählt, habe er dem letzteren lachend auf die Schulter geklopft und gesagt: Lips, ich weiß, du lupfst gern den Becher. Du sollst St. Goar und Rheinfels haben. Dort kommst du nicht zu kurz!“
Philipp II. (1567 – 1583) nach dem Tode Philipps des Gutmütigen also der neue Herrscher unseres Landes, war der erste hessische Landgraf, der fast ausschließlich auf Rheinfels Hof hielt. Ein gütiges Geschick hatte in ihm in jener von den inneren Wirren so gründlich zerstörten Blütezeit des alten deutschen Reiches dem Ländchen einen äußerst wohlwollenden Fürsten beschert. Unter ihm erlebte St. Goar seine größte Glanzzeit, die in ihren wohltätigen Folgen auch auf das Schwesterstädtchen St. Goarshausen ausstrahlte. Denn Philipp war ein liebenswürdiger, gerechter, aufs Wohl seiner Untertanen bedachter Herrscher. Dabei gab er sich als fröhlicher, lebensbejahender Herr, wie ihn der Rheinländer liebt, ein Mann, der zu leben und leben zu lassen verstand, mit seinen getreuen Untertanen gern scherzte und becherte, ihnen farbenfrohe Feste gab und sich sogar herabließ, zu ihrer Erheiterung mit seinem Hofstaat Schnurren und Schwänke aufzuführen.
Seinem Schönheitssinn war die alte graue Burg zu eng. Sie sollte das prächtigste Fürstenschloß am Rhein werden. So wollte es Philipp. Er errichtete in ihrem Innern Wohnpaläste und Blumengärten, also daß man sie damals das mittelrheinische Heidelberg nannte. Dabei vergaß er nicht, auch die Befestigungswerke auszubauen, sie zu der Wacht am Rhein zu gestalten, die Deutschland jahrhundertelang gegen die gallischen Gelüste schützte.
Und noch eines vergaß er nicht: Er machte der väterlichen Erkenntnis alle Ehre. Er “lupfte“ den Becher mit “Heil und Humpen“, daß die Rheinschiffer, die unten vorbeifuhren, ob der Spundgesänge, die von dem Zecherschloß in die Nacht hinein schallten, sich ängstlich bekreuzigten. Kein Wunder, daß sich dieser fröhliche Humpenschwinger bei seinen Rheinländern, die sowas zu würdigen wußten, einer Volkstümlichkeit erfreute, wie kein anderer Fürst vorher und nachher. Davon zeugt noch das prächtige Marmorgrabmal, das man ihm und seiner Gemahlin, der Pfalzgräfin Anna Elisabeth, in der St. Goarer Stiftskirche errichtet hat.
Freilich, das dicke Ende kam auch hier nach. Die Regierung des freigebigen und lustigen „Lips“ hatte den Staatssäckel in nicht geringe Schulden gestürzt. Aber was verschlug das! Man hielt den “lieben Kerl“ in dankerfülltem Andenken und die Erinnerung an jene rheinfröhliche Heil- und Humpenzeit half späteren Geschlechtern über manche Stunde der Not und der Trübsal hinweg, die das kommende Jahrhundert ihnen brachte.
Denn die Zeit wurde Immer düsterer. Der dreißigjährige Krieg warf seine Schatten voraus. Noch zu Lebzeiten Philipps wurde unsere Heimat von den furchtbaren Pestjahren 1574 und 1581 heimgesucht, die erschreckende Verheerungen anrichteten und große Teuerung verursachten. (Siehe Kapitel “Leidenszeiten“!). Vielleicht war das für den gefühlvollen Herrn mit ein Grund, den leidenden Untertanen durch sein Bespiel wieder Fröhlichkeit und Lebensmut zu geben.
Da Philipp II. kinderlos starb (1583), fiel nach seinem Tode die Niedergrafschaft und damit auch unser Städtchen St. Goarshausen wieder an Kassel zurück und zwar an seinen ältesten Bruder, Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, bei welcher Linie es bis 1626 verblieb.
Dem Landgrafen Wilhelm IV. folgte im Jahre 1592 sein Sohn Moritz (1592 – 1627), seiner hohen wissenschaftlichen Bildung wegen “Der Gelehrte“ genannt. Moritz ließ sich nicht nur den weiteren Ausbau der Feste Rheinfels angelegen sein, er führte auch bei seinen Kriegsleuten eine Reihe bedeutsamer, den Geist der Zeit widerspiegelnder Neuerungen ein. Der Zweikampf, die Kuppelehe und die Entführung wurden mit dem Tode bestraft. Zauberer erlitten den Feuertod. Gotteslästerern wurde die Zunge mit glühendem Eisen durchstochen, Schwarzkünstler, Teufelsbanner und Waffensegner durften nicht geduldet werden. Beleidiger mußten Abbitte tun. Wer einem andern eine Maulschelle gegeben, mußte vor dem Kriegsgericht niederknien und sie vom Gegner zurückerbitten.
Eine Besonderheit darf noch erwähnt werden: Landgraf Moritz ließ durch seinen Zeichner und Mathematiker Wilhelm Dilich von den wichtigsten Bauten seines Landes “Tafeln“ aufnehmen. Ihm verdanken wir die prächtigen Aufzeichnungen und Grundrisse der Burgen Rheinfels, Katz, Reichenberg, Marksburg, Philippburg und Hohenstein, die uns heute noch einen Einblick in die baulich und künstlerisch so vollendete Großartigkeit dieser alten Ritterfesten gewähren. Die Arbeit muß allerdings dem Meister allerhand Durst verursacht haben, denn wie die nachgelassenen Rechnungen vermelden, hat Dilich mit seinen Gesellen allein während seines Aufenthaltes auf Rheinfels 3 Ohm und 13 1/2 Viertel Wein verläppert. Dazu der Trunk auf den anderen Burgen! Der selige “Lips“ hätte ihm das nicht übel genommen, er hätte ihm vielleicht noch dabei geholfen. Aber der sparsame Moritz war ihm dieserhalb gram. Erst die Nachwelt weiß dem braven Dilich den gebührenden Dank für seine prächtige Leistung. (Siehe Kapitel “Burg Katz und ihre Geschichte“!)

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Die hier vorgestellten Ansichten entsprechen weder denen der Urheber dieser Internetseite noch möglicherweise dem modernen Stand der Geschichtsforschung.

Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.