Kategorien

Loreley

Loreley

St. Goarshausen hat das Glück, die poetischste Stätte der rheinischen Bergwelt zu besitzen: die Loreley. Beide gehören seit Urzeiten zusammen. Wer das eine sagt, sagt auch das andere. Steil und trutzig wie eine Götterburg reckt sich der Felskoloß aus dem Strome auf und schaut sang- und sagenumwittert auf des Rheines Prunkgemach herab, in dessen Mitte das alte, romantische Städtchen – unsere Heimat – liegt.

Die Loreley in Sage und urzeitlicher Kunde

In der Tat, es ist etwas Eigenes um diese rheinische Bergkuppe. Es gibt in deutschen Landen weit höhere und stolzere Gipfel als diesen nur 130 Meter hohen kahlen Felsen. Es gibt Alpenkönige, die im ewigen Firnmantel prangen und burggekrönte Bergkegel, die wie gebietende Herrscher ins Land schauen. Es gibt Sagenwälle wie der Brocken und Kyffhäuser, um die es unheimlich raunt und geistert. Das deutsche Volk begegnet ihnen mit der Ehrerbietung, die solchen Größen gebührt. Der Loreley aber gehört seine Liebe. Und diese Liebe ist nicht etwa aus deutscher Empfindsamkeit oder gar weichlicher Gefühlsduselei geboren, nein, sie wurzelt tiefer. Sie ist die unbewußte, in der Volksseele schlummernde Verbundenheit mit den heiligen Tagen deutscher Urzeit. Damit steigt vor unserer Seele das auf, was gerade diesem Berg das geheimnisvolle Gepräge verleiht: die Loreleysage. Wir geraten ins Grübeln und fragen nach ihrer Entstehung und nach der vielumstrittenen Bedeutung des Namens Loreley. Es gibt Literaturpäpste und andere Neunmalgescheite, die behaupten, die Loreley-Sage sei von dem Dichter Clemens Brentano „erfunden“ worden. Vor ihm habe niemand über sie geschrieben, also sei sie unbekannt gewesen. Wenn doch solche Sinnlosigkeiten endlich aufhörten! Es ist ungefähr das gleiche, als wenn einer behaupten wolle, die Kyffhäusersage sei von Friedrich Rückert „erfunden“ worden, weil er das Gedicht von dem schlafenden Barbarossa geschrieben hat, der doch ursprünglich niemand anders war als der Allvater Wodan. Mag Brentano sich hundertmal als der „Erfinder“ brüsten — jeder Einsichtige weiß: solche Volkssagen „erfindet“ man nicht. Die haften an ihrer Stätte, die sind mit ihrem Boden verwurzelt wie die Eiche, die sich in seine Felsen klammert. Man muß nur die Kraft besitzen, sie von den Stacheldrähten zu befreien, mit denen eine volksfremde Kultur und namentlich christlicher Glaubenseifer unser angestammtes deutsches Volksgut verbaut und verschandelt hat, dann wird sich uns ein Reich eröffnen, das da ist wie ein Land voll seltsam duftender Blüten: der deutsche Mythos.

Der Lurlenberg

Wir haben unumstößliche Zeugnisse, daß die Fantasie des Volkes sich von altersher mit dem „Lurlenberg“ — so hieß er in alter Zeit — beschäftigt hat. Schon im 13. Jahrhundert schrieb der Minnesänger Konrad Marner, ein Zeitgenosse Frauenlobs: Der Nibelungen hort lit in dem Lurlenberge“. Und Marquard Freher berichtet in seinen „Origines Palatinae“ (Heidelberg 1612), daß in dem Lurlenberg Waldfrauen und Berggeister wohnen sollen, die durch das Echo die Schiffer und Reisenden necken. Daß es, ein löcherichter Berg mit verwunderlichem Echo“ sei, wird auch in einer im Jahre 1689 zu Augsburg erschienenen Reisebeschreibung von Jacob Koppmayer erwähnt. In diesem Werk, benannt: „Der vortreffliche Große Wasserstrom Der Rhein“ heißt es: … Gegenüber St. Gewer liegt das Städtlein Gewershausen, welcher Ort wegen des vortrefflichen Weinwachs im Ruf ist. Und dann über solchem auch auf einem hohen Felsen die Katz, oder das Schloß Neu Catzen Elnbogen, neben welchem der Rhein sehr schmal und tieff, hat auch etliche gefährliche Würbel. Über diesem Schloß den Rhein aufwärts liegt der löcherichte Berg Loreley, der seines verwunderlichen Echos halber bekannt.“

Die Loreleysage

Zu der Sage selbst ist folgendes zu sagen. Eine einheitliche Loreleysage gibt es nicht. Der Lesarten sind gar viele, was sich aus dem geheimnisvoll – mythischen Ursprung erklären dürfte. Die älteste und einfachste Fassung, also gewissermaßen die Urzelle der Sage, wird diejenige sein, die sich die alten Fischer erzählten, wenn sie nachts in ihrem Kahn saßen und heimlich durchschauert zu der schwarzen, mondscheinumgeisterten Felsenwand hinaufblickten, in deren zerrissenen Schründen mit leisem Klagen die Nachtwinde harften und an deren Fuß sich in rauschendem Strudel die Wogen brachen, während das Echo jeden Menschruf und jeden Vogelschrei — damals hauste noch der Uhu dort — siebenmal wiederholte. Also eine Naturerscheinung, die gerade an dieser gefährlichen Stromstelle ihren Eindruck auf einfache Gemüter nicht verfehlte. Nach dem Glauben der Alten war die Loreley ein geheimnisvolles, nixenhaftes Wesen, das, wenn die Sonne sich senkte und die Dämmerung um den Berg spann, aus ihrem Felsenschloß kam und bald liebelockend, bald wehmütig klagend, in Tönen, wie sie kein Menschenohr bis dahin so berückend vernommen hatte, zu singen anfing. Der Fremde, der ihre Stimme hörte, war ihr verfallen. Wehe dem Schiffer, der dann das Steuern vergaß und nach der von einem weißen Schleier umflossenen Gestalt hinaufspähte. Er verlor die Richtung und zerschellte an den Klippen.

Aber auch menschenfreundliche Züge hatte die betörende Frau. Es war an einem dämmerblauen Sommerabend und der Verfasser selbst fast noch ein Knabe, da hörte er von einem alten Fischer den Ausspruch: „Wenn sich die Loreley zeigt, gibt’s einen guten Fang.“ Auf die Frage, woher er die Kunde habe, erwiderte der Mann, das habe schon sein Großvater gesagt.

Also lange vor Brentano. Schon daraus geht hervor, wie uralt die Sage von der geheimnisvollen Bergholdin ist.

Die Jungfrau Loreley

Aber die Fantasie des Volkes spann den Märchenfaden weiter. Sie suchte die undinenhafte Gestalt der Loreley zu vermenschlichen. Aus dem elfenhaften Wesen wurde eine zauberische Jungfrau. Ein junger Ritter, von ihrer Schönheit gefesselt, hatte ihr seine Liebe angetragen, verriet sie aber bald mit einer andern und kam nicht wieder. Aus Gram über seine Untreue stürzte sie sich vom Felsen, von dem aus sie nach dem Ersehnten Ausschau gehalten hatte, in den Rhein. Ihr Geist aber ist an dieser Stelle gebannt. Aus ihrem Wasserschloß steigt sie herauf in den Berg und weint und klagt mit süßer Stimme. Oft erscheint sie den Fischern, besonders in den Morgen- oder Abendstunden wie ein Nebel oder Wölkchen auf dem Felsen, in weißem Kleid, mit wehendem Schleier, strählt ihr langes goldenes Haar und singt dazu ein betörendes Lied. Keiner aber, der sich von ihr locken läßt, erreicht sie, ob er auch den steilen Fels erstiege. Sie weicht vor ihm, sie schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit bis an des Abgrunds Rand, er sieht nur sie, er glaubt sie zu fassen und – stürzt hinunter in die Tiefe. Andere, die ihr im Kahn zu nahen suchen, geraten in die Klippen und werden von den Wellen verschlungen.

So erzählten es die alten Fischer von St. Goarshausen ihren Kindern und diese den ihren, und so erbte sich die Sage fort von Mund zu Mund. Daß diese sich nicht weiterpflanzte und sozusagen örtlich begrenzt verblieb, oder gar im Laufe der drangsalvollen Zeiten vergessen wurde, ist allerdings seltsam. Aber schon derbekannte Märchen- und Sagenforscher Jakob Grimm, der wie kaum ein anderer die verschütteten Brunnen des deutschen Volkes in ihrem innersten Wesen belauscht hat, glaubte diese und ähnliche Erscheinungen dahin erklären zu können, daß altes Sagengut sehr häufig im Laufe der Zeit und namentlich unter dem Druck der Kirche, verschüttet ging und auf die dichterische Wünschelrute wartete, die es wieder ans Licht ziehe.

Clemens Brentano und die Loreley

Diese Wünschelrute besaß Clemens Brentano, der die Kunde — er leugnete es zwar, aber darauf ist kein Gewicht zu legen — offenbar aus dem Munde des Volkes empfing und daraus mit dichterischer Freiheit in seinem Roman „Godwi“ (1802) die bekannte Ballade schuf, die er ins Mittelalter verlegte und als deren Hauptschauplatz er das Städtchen Bacharach wählte. Wir geben die Ballade hier im Wortlauf wieder:

Zu Bacharach am Rheine
Wohnt eine Zauberin,
Sie war so schön und feine
Und riß viel Herzen hin.

Und brachte viel zu schanden
Der Männer rings umher,
Aus ihren Liebesbanden
War keine Rettung mehr.

Der Bischof ließ sie laden
Vor geistliche Gewalt –
Und mußte sie begnaden,
So schön war ihr Gestalt.

Er sprach zu ihr gerühret:
„Du arme Lore Lay!
Wer hat dich denn verführet
Zu böser Zauberei?“

„Herr Bischof, laßt mich sterben,
Ich bin des Lebens müd,
Weil jeder muß verderben,
Der meine Augen sieht.

Die Augen sind zwei Flammen,
Mein Arm ein Zauberstab –
O legt mich in die Flammen!
O brechet mir den Stab!“

„Ich kann dich nicht verdammen,
Bis du mir erst bekennt,
Warum in diesen Flammen
Mein eigen Herz schon brennt.

Den Stab kann ich nicht brechen,
Du schöne Lore Lay!
Ich müßte dann zerbrechen
Mein eigen Herz entzwei.“

„Herr Bischof, mit mir Armen
Treibt nicht so bösen Spott,
Und bittet um Erbarmen,
Für mich den lieben Gott.

Ich darf nicht länger leben,
Ich liebe keinen mehr –
Den Tod sollt Ihr mir geben,
Drum kam ich zu Euch her. –

Mein Schatz hat mich betrogen,
Hat sich von mir gewandt,
Ist fort von hier gezogen,
Fort in ein fremdes Land.

Die Augen sanft und wilde,
Die Wangen rot und weiß,
Die Worte still und milde,
Das ist mein Zauberkreis.

Ich selbst muß drin verderben,
Das Herz tut mir so weh,
Vor Schmerzen möcht ich sterben,
Wenn ich mein Bildnis seh.

Drum laßt mein Recht mich finden,
Mich sterben wie ein Christ,
Denn alles muß verschwinden,
Weil er nicht bei mir ist.“

Drei Ritter läßt er holen:
„Bringt sie ins Kloster hin;
Geh, Lore! – Gott befohlen
Sei dein berückter Sinn.

Du sollst ein Nönnchen werden,
Ein Nönnchen schwarz und weiß,
Bereite dich auf Erden
Zu deines Todes Reis‘.“

Zum Kloster sie nun ritten,
Die Ritter alle drei,
Und traurig in der Mitten
Die schöne Lore Lay.

„O Ritter,
laßt mich gehen
Auf diesen Felsen groß,
Ich will noch einmal sehen
Nach meines Lieben Schloß.

Ich will noch einmal sehen
Wohl in den tiefen Rhein,
Und dann ins Kloster gehen
Und Gottes Jungfrau sein.“

Der Felsen ist so jähe,
So steil ist seine Wand,
Doch klimmt sie in die Höhe,
Bis daß sie oben stand.

Es binden die drei Ritter
Die Rosse unten an,
Und klettern immer weiter
Zum Felsen auch hinan.

Die Jungfrau sprach: „Da gehet
Ein Schifflein auf dem Rhein,
Der in dem Schifflein stehet,
Der soll mein Liebster sein.

Mein Herz wird mir so munter,
Er muß mein Liebster sein!“ –
Da lehnt sie sich hinunter
Und stürzet in den Rhein.

Die Ritter mußten sterben,
Sie konnten nicht hinab,
Sie mußten all verderben,
Ohn Priester und ohn Grab.

Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
Und immer hats geklungen
Von dem drei Ritterstein:

Lore Lay,
Lore Lay,
Lore Lay,
Als wären es meiner drei.

Zum erstenmal – das möge hier betont werden – ist in dieser Ballade von dem bezaubernden Gesang der Loreley die Rede. Brentano spricht in seinem Gedicht mit keiner Silbe von ihrem Gesang, was immerhin merkwürdig ist. Sie ist nur ein schönheitsbegnadetes Bacharacher Mädel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Bacharacher Legende von der schönen Heiles, die, wie uns der Rheinische Antiquarius berichtet, sich aus Liebeskummer in den Rhein gestürzt hat, Brentano den ersten Anstoß gegeben hat. Auch daß er das Wort Lore als Vornamen benutzt (lore Lay) ist auffallend.

Heines Loreley

Übrigens sind alle die genannten Balladen nicht ins Volk gedrungen. Dieser Wurf gelang erst Heinrich Heine mit seinem 1824 entstandenen Gedicht:

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“,

dessen stofflicher Inhalt von der Loeben’schen Ballade entlehnt ist. Vielleicht wären auch sie in Vergessenheit geraten, hätte ihnen nicht der verdienstvolle Liedmeister Friedrich Silcher die volkstümliche Melodie verliehen, die das Lied über die ganze Welt getragen hat. (Erschienen 1839).

Allerdings auch Silcher hat bei seiner Vertonung altes deutsches Liedgut benutzt. Die Melodie findet sich in ähnlicher Weise schon 1746 bei dem Lied „Die unzufriedene Sylvia“ von Adolf Karl Kuntzen und in einer Reihe weiterer Lieder des 18. Jahrhunderts. Auch in dem „Rondo“, das Beethoven mit 14 Jahren schrieb, prägt sich in den ersten Takten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Loreley-Melodie aus. Diese deutschen Liedquellen mögen die Volkstümlichkeit der Melodie erklären.

Lurlei

In späterer Zeit, ums Jahr 1886, erschien die epische Romanze „Lurlei“ von Julius Wolff, ein Buch, das seinerzeit viel gelesen wurde, aber, wie die meisten Wolff‘schen Werke, inzwischen in der Versenkung verschwunden ist: Die Lorlei erscheint in dieser Dichtung als Kind einer Rheinnixe, das von dieser einem Fischer ins Netz gelegt wird. Der Fischer erzieht es an Kindesstatt. Die Liebe zu dem jungen Grafen von der Burg Katz wird Lurlei zum Verhängnis. Sie rächt sich für seinen Treuebruch, indem sie ihn vom Felsen stürzt. Aber getreu dem Eid, den sie dem Großvater Rhein geleistet hat, muß sie nun auch alle andern jungen Männer, die sie durch ihren Gesang umstrickt hat, verderben, so daß sie am Schluß zu einer rächenden Furie, einem Racheweib wird, das nur noch Freude am Töten hat. Wohl hat das Buch manche Schönheiten, namentlich, wo es altes rheinisches Brauchtum wie das Mädchenlehen und die Verhansung zu St. Goar schildert, aber der Ausgang der Fabel ist doch zu blutrünstig und auch das Bild des Vater Rhein zu widerwärtig, als daß das Volksgemüt daran Geschmack finden könnte.

Namensdeutung

Es blieb nun noch die Frage zu erörtern, um die schon ganze Fässer Tinte vergossen worden sind: Wie erklärt sich der Name Lurlei – oder wie er nun im Volksmund heißt – Loreley? Aber auch diese Erklärung dürfte nicht allzu schwierig sein, wenn wir auf altes Sprachgut zurückgreifen, das uns zugleich den Ursprung der ganzen Sage erhellt.

Zunächst sei gesagt, daß „Ley“ oder „Lei“ der rheinische Ausdruck für Schiefer und Schieferfels ist. Der Schieferdecker heißt am Mittelrhein „Leiendecker“ und das Kind geht mit einer „Lei“ zur Schule. Auf den Namen „Ley“ lautende Felsklippen gibt es am Rhein eine ganze Menge, wie die Rauscheley, die Wirbelley, die Backesley, die Erpeler Ley usw.

Bliebe also noch die Lore zu erklären. Da wäre es nun verkehrt, an einen Mädchennamen zu denken. Damit hat der Ausdruck nichts zu tun. Auch die von vielen Reiseschriftstellern herangezogene Deutung, Lore käme von „luren“, also von „Lauern“, weil man auf das Echo „lauere“, oder weil die Nixe in ihrer Bosheit auf liebesbedürftige Schiffer „lauere“, ist zu kindlich, um sich damit zu befassen. Wir müssen da viel weiter ausholen. „Loren“ oder „Luren“ hießen in der Vorzeit die Berg- und Wassergeister, die Zwerge, Kobolde, Wichtermänner, Gnomen, Heinzelmännchen, Feen und Nixen, also die elbischen Wesen, die in den geheimnisvollen Schlünden der Berge, Wälder und Flüsse hausten. Nach dem Glauben unserer Altvordern war der Loreleyfels wie schon erwähnt, eine Art hohler, … löcherichter Berg, in dem die neckischen, die menschliche Stimme im Echo nachäffenden Kobolde ihr Wesen trieben. In den „Hanselmannshöhlen“ hausten Zwerge, die goldene Schätze bewachten. Daher der schon erwähnte Ausspruch des Minnesängers Marner, daß in dem „Lurlenberg“ der Nibelungenhort liege.

Eine von diesen versteckten Höhlen, im Volksmund die „Heinzelmannshöhle“ genannt, bestand noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts und wurde leider beim Bahnbau zerstört. Sie lag über dem östlichen Tunnelausgang, mitten im Berg, von einer mächtigen Felsplatte überdacht. Nach der Volksüberlieferung war sie in Kriegsnöten die Zuflucht der umliegenden Landbewohner. In den Franzosenkriegen haben angeblich die Bornicher dort ihren Gottesdienst abgehalten, wobei der Abendmahlswein in einem Blechlöffel gereicht wurde, da der Kirchenkelch von den plündernden Kriegsvölkern gestohlen worden war.

Die Herrin all jener „Loren“ und „Luren“, also der Berg- und Wassergeister, war nach dem Glauben unserer Vorfahren die Göttin Freya, in Mittel- und Süddeutschland Holda oder auch Lora genannt. Lora oder Holda war die Göttin der Liebe und zugleich die Verkünderin des Frühlings. „Frau Holda kam aus dem Berg hervor, zu ziehen durch Flur und Auen“, heißt es in Wagners „Tannhäuser“. Und der bekannte Eddaforscher Karl Simock schreibt: „Freya war als bergentrückte Göttergestalt gedacht, die in Walhall den Göttern den Meth kredenzte. Sie war jung, schön, goldlockig, mit einem von Zwergen geschmiedeten Halsschmuck, dem Brisingamen, geziert, und ihr Gesang hatte betörenden Reiz. Wer ihn hörte, war ihr verfallen.“ Ist damit nicht schon die ganze Gestalt der Loreley gegeben?

Auch in andern Gegenden Deutschlands kannte man solche „Loren“ oder „Luren“, wie sich aus örtlichen Sagen schließen läßt, die sich meist an rauschende Brunnen oder fließende Wasser knüpfen. So erscheint z.B. im Lauratal bei Schlier in Schwaben, das urkundlich Lurenthal hieß, ein weißes Fräulein, Laura genannt, das den Wanderer lockt. Auch der Lorenberg im Siegengebirge und der Lurenbrunnen in Neunkirchen ebenso wie der Zwerkönig Laurin gehören hierher. Im Westfälischen spukt die Lora, oder das Lorchen, noch immer in Stadt und Land. Mörike hat die Mär von der „schönen Lau“ festgehalten. Auch von Rückert gibt es ein Gedicht vom „Lauerbrünnlein“, aus dem das „Ammenfräulein“ mit einer Schale die Kindlein schöpft.

Die Loreley als Tochter der Göttin Freya

In seinem Rhein-Epos „Trutz Katz“ läßt der Verfasser der vorliegenden Chronik mit dichterischer Freiheit die Loreley als Tochter der Göttin Freya erscheinen. In der Sonnwendnacht im Lurlenberg ergeht ihr feierlicher Ruf an ihre Geister:

Ihr Geister im luftigen Reiche!
In finsterer Felsenklamm!
Im Wurzelwerke der Eiche!
Auf runengeheiligtem Stamm!
Herbei! Herbei!
Es ruft euch die Fei!
Es ruft auch die Königin Lorelei!

Al raunen in dunkelen Gründen!
Moosweiblein im dämmernden Wald!
Wichtelben in Schluchten und Schlünden!
Goldhüter im glitzernden Spalt!
Herbei! Herbei!
Es ruft euch die Fei!
Es ruft euch die Königin Lorelei!

Erdmännlein in klaffenden Klüften!
Quellnixen auf blumiger Au!
Lichtelfen in Blüten und Düften!
Grashüpfer in blinkendem Tau!
Herbei! Herbei!
Es ruft euch die Fei!
Es ruft euch die Königin Lorelei!

Ihr schmiedebewanderten Zwerge
Beim neidlichen Niblungenhort!
Ihr Echorufer im Berge!
Ihr Springer in Süd und Nord!
Herbei!Herbei!
Es ruft euch die Fei!
Es ruft euch die Königin Lorelei!

Ihr Nixen im rauschenden Rheine,
In silberdurchfunkelter Flut!
Auf! Auf! Zum heiligen Steine,
So lange das Sonnenrad ruht!
Herbei! Herbei!
Es ruft euch die Fei!
Es ruft euch die Königin Lorelei!

Resumee

Fassen wir alle diese Sagenquellen und mythologischen Urbestandteile zu einem Gesamtbild zusammen, so ergibt sich daraus, daß „Lore-Ley“ nach altem Sprachgut der „Lorenfels“, also der „Nixenfels“ bedeutet. Wäre es da ein vermessener Gedanke, zu vermuten, daß sich auf diesem Bergdome, der wie ein feierlicher Naturaltar über dem heiligen Strom der Deutschen, dem Rheine, steht, in der grauen Vorzeit eine mit der alljährlichen Sonnwendnacht verbundene Kultstätte der germanischen Licht- und Liebesgöttin befand, deren Name mit dem Namen des Berges verschmolz und die, als der Götterkult längst verklungen war, als singende, lockende Nixe im Volksglauben weiterlebte! Ganz austilgen konnte man ihr Gedenken nicht, wenn auch die christlichen Bekehrer, als sie in diese geheimnisvolle Bergwelt ihren Einzug hielten, ihr Bestes taten, das bezaubernde Götterweib in eine buhlerische Venus und, noch mehr als das, in eine verderbenbringende Hexe zu verwandeln, genau, wie sie den Allvater Wodan zum schwefelstinkenden Teufel mit Huf und Pferdeschweif und die übrigen Gottheiten zu Unholden und Dämonen machten, die ebenfalls darauf ausgingen, die armen Christenmenschen um ihr Seelenheil zu bringen.

Der Teufel und die Loreley

Und da wir mal beim Teufel sind, so möge hier eine lustige Sage erzählt werden, die sich an diesen Berg knüpft. Es befindet sich nämlich am Fuße der Loreley, dort wo der Uferweg die scharfe Kehre macht, unter einer vorsprechenden Felsplatte ein seltsames Gebilde: die in die Felswand eingedrückten Hinterbacken eines Riesen, der anscheinend den Lurlenberg umdrüchen wollte. Wer konnte das anders gewesen sein als der höllische Mephisto, der auch hier wieder sein Unwesen getrieben hat. Der „Teufelsitz“ wird die „hinterlistige“ Stelle in Reisenhandbüchern und Fremdenführern geschamig genannt. Der Volksmund aber — soll ich mich scheuen, es zu sagen? — nennt sie kurz und derb „Deiwels A…backen“. So heißt sie seit Urzeiten und wer nach ihr fragt, muß sich schon des blumigen Namens bedienen. Und er wird viel Seltsames erfahren.

In grauer Vorzeit, so erzählt die Sage, begab sich der Teufel, der damals noch viel Zeit hatte – denn die Menschen waren noch brav und fromm und er brauchte noch nicht so viel zu heizen – auf eine Rheinwanderung. Er hatte sich eigens in das Gewand eines fahrenden Schülers gesteckt, trug ein Samtbarett und sah sehr unternehmend aus. So kam er über St. Goarshausen zur Loreley.

Der kahle zerrissene Berg, der so heimtückisch in den Rhein vorsprang und die Schiffer in Gefahr brachte, gefiel ihm und er dachte schon daran, sich in dieser verlockenden Gegend ein Sommerhaus zu bauen. Plötzlich hielt er seine Schritte an – er hörte singen – eine süße Stimme, die von der Höhe kam und ihn sofort in ihren Bann schlug.

Den Berg hinaufspähend, erblickte er droben auf einer vorgereckten Klippe eine wunderbare Jungfrau sitzen. Die schlug die Harfe und sang dazu Lieder, die ihn wie eine unendliche Liebessehnsucht dünkten. Nein, so was Schönes und Junges hatte er bei seiner Großmutter in der Hölle noch nicht gesehen. Die mußte er haben.

„Wer bist du, schönes Kind, das so wundervoll singt?“ rief er hinauf und strich seinen Zottelbart. „Man nennt mich die Loreley“, kam es von oben. „Aber wer seid Ihr denn?“ „Ich bin ein frommer Scholar“, säuselte der Teufel. „Möchte gern bei dir singen lernen. Also komm mal runter, Undinchen!“ Ein silbernes Lachen antwortete. „Fromm seht Ihr nicht gerade aus. Und sehr galant scheint Ihr auch nicht zu sein, sonst kämt Ihr zu mir herauf.“

Der Zottelbärtige besah sich den Fels, der sich glatt und steil vor ihm aufreckte. Da hinauf zu klettern mußte selbst für einen Teufel gefährlich sein. Aber hatte er nicht schon Schlimmeres überwunden, wenn es galt, ein Jungfräulein zu kapern? Also nahm er einen gewaltigen Anlauf, um die steile Wand hinaufzuspringen, glitt aber ab und plumpste herab, worüber die Jungfrau in helles Lachen ausbrach. Fluchend machte er einen zweiten Sprung, und wieder landete er auf dem Boden und rieb sich die zerschundenen Knochen. Als er aber zum drittenmal sich sein Achterteil verplotzt hatte, da war’s vorbei mit seiner Geduld.

„Und kommst du nicht freiwillig, so soll der verdammte Berg dich herunterbringen!“ donnerte er hinauf.Mit ungeheurer Kraft stemmte er seine Kehrseite gegen die Bergwand, um sie zu Fall zu bringen. Aber der Fels war stärker als der verliebte Teufel. Er nahm nur dessen „Abdruck“ auf, blieb aber unbeweglich. Droben aber sang die Loreley ein Spottlied. Das war zuviel für Meister Urian. Wütend und mit greulichem Gestank fuhr er ab und ward seitdem nicht mehr gesehen. Nur seine „Visitenkarte“ ist im Fels geblieben.

Der Teufel und die Loreley von Karl Simrock

Der rheinische Dichter Karl Simrock hat die Sage ähnlich besungen in seinem bekannten Gedicht:

Der Teufel und die Loreley

Das ist des Teufels größter Spaß,
Die schöne Schöpfung zu verderben;
Sie läge, wäre sie von Glas,
Von ihm zerschlagen längst in Scherben.
Zum Glück gebricht ihm die Gewalt,
Wann Bosheit ihm die Fäuste ballt.

Er machte wie der Mylords mehr
Einst rheinhinauf die große Reise,
Da hob ein Fels sich hoch und hehr,
Und warf den Strom aus seinem Gleise:
Das Prachtgestein zerstört‘ er gern,
Denn wer es sah, lobpries den Herrn.

Er greift mit beiden Händen zu
Und will es von der Stelle rücken.
Doch weil es ihm nicht weicht im Nu,
So stemmt er an den mächt’gen Rücken;
Da singt die Lureley hoch vom Rand
Und Zauber hält ihn festgebannt.

Sie singt vom Weh, die schöne Fee,
Und möcht um Leben Liebe tauschen;
Sie wirbt so hold um Minnesold,
Die Wellen rauschen leis und lauschen,
Dem Teufel ist es scharfe Qual,
Als führ durchs Mark ihm kalter Stahl.

Sie singt von Lust in fremder Brust,
Wie froh der Mensch da unten lebe,
Wie mit dem Rauch der Hütten auch
Sein Denkgefühl zum Himmel schwebe.
Der Teufel weiß nicht, ob er’s glaubt,
Doch ist ihm alle Macht geraubt.

Sie schweigt, da reißt sich Satin los
und flüchtet zu der Hölle Feuer;
Doch abgedrückt im Felsenschoß
Ist ein geschwänztes Ungeheuer.
Der Schiffer sieht’s und sagt im Spott:
„Der ist noch lang kein Herre-Gott.“

Loreley-Denkmal ? Erste Bestrebungen

Die Geschichte der Loreley wäre aber nicht vollständig, wollten wir nicht auch jener merkwürdigen Bestrebungen gedenken, die darauf ausgingen, die sagenhafte Jungfrau in Marmor auszuhauen und damit die Stätte ihrer Wirksamkeit, also den Loreleyfelsen, zu „schmücken“. Es war eine Sache, die im Laufe der Jahre viel Staub aufwirbelte. Und mit Recht. Schon so manche sagenreiche Naturstätte ist entweiht und verschandelt worden, aber die Loreley, diesen Glanzpunkt rheinischer Romantik, zur Denkmalkulisse zu machen und ihr damit die wunderbare Naturstimmung zu rauben, das ging doch zu weit. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist bekannt oft nur ein Schritt.

Den Anfang der Denkmal-Komödie machte Herzog Adolf von Nassau, der letzte Herrscher dieses begnadeten Ländchens, der, aus einer romantischen Anwandlung heraus zu Anfang der 1850 er Jahre den Bildhauer Alexander Emil Hopfgarten beauftragte, der Loreley, als der Muse des Rheinlandes, ein würdiges Standbild zu schaffen. Es sollte ein zwölf Meter hohes Monument werden, das rheinauf und rheinabwärts weithin sichtbar sei. Professor Hopfgarten, ein anerkannter Künstler, der auch das prächtige Grabmal der jungverstorbenen Herzogin Elisabeth, einer geborenen Großfürstin von Rußland, in der Griechischen Kapelle zu Wiesbaden geschaffen hat, gab sich sofort ans Werk. Und man muß zugeben, daß sein Modell – es stellte die Loreley als eine auf einem Felssockel sitzende, halbbekleidete Jungfrau mit altdeutscher Harfe dar – von künstlerischer Schönheit war. Dann kamen aber die Jahre politischer Wirren. Der junge Künstler starb, der Krieg mit Preußen brach aus, der Herzog ging außer Landes und die arme Loreley blieb in der Mosburg im Biebricher Schloßgarten, der Hopfgarten’schen Werkstatt, einsam und verlassen stehen, bis sie nach Jahren in den Garten eines Wiesbadener Bürgers wanderte, wo sie vollkommen verfiel.

Aber der Funke glomm unter der Asche weiter. Es war J. Christian Glücklich zu Wiesbaden, der bekannte Chronist des nassauischen Bardenpaares Philipp und Lisbeth Keim und Herausgeber der Wiesbadener Kreppelzeitung, der den Gedanken aufgriff. Glücklich, dem man eine gewisse Begeisterungsfähigkeit und schwärmerischen Schwung, verbunden mit einer großen Liebe zur rheinischen Heimat, nicht absprechen darf, erließ im Jahre 1875 einen mitreißenden Aufruf an das deutsche Volk und die Fürsten zur Sammlung für ein Loreley-Denkmal, In diesem Aufruf hieß es:

„Welcher Deutsche, frage ich, dem es in tiefster Brust noch etwas Erhabeneres, etwas Heiligeres gibt, als die kalte, nackte Prosa des Alltagslebens, dessen Herz nicht verschlossen ist für das Schoßkind der Musen, für die himmlische Poesie, fühlte sich nicht schon begeistert bei dem bloßen Gedanken an den schönsten, den herrlichsten Strom der Welt, an unsern deutschen Rhein? … Jenes Traumbild der deutschen Sänger und Dichter, welches als hehrer Götterfunke in jedem deutschen Herzen lebt, es ist verkörpert im herrlichen Ideale, verkörpert in der schönsten Schöpfung unseres unsterblichen Hopfgarten, in seiner Loreley !“

Indes, der brave Glücklich hatte mit seinen Sirenenklängen kein Glück. Nachdem ihm durch ein Schreiben aus dem Kabinett Kaiser Wilhelm I in verbindlicher Form – der alte Wilhelm war ein höflicher Herr – nahegelegt wurde, die Sache auf eine spätere Zeit zu verschieben, damit die Kräfte für das damals geplante Nationaldenkmal auf dem Niederwald nicht zersplittert würden, mußte sich Glücklich notgedrungen bescheiden und ließ die Sache liegen.

Aber er war beharrlich. 28 Jahre später – das Niederwaldenkmal stand längst auf seinem heftig umstrittenen Platz und der alte Wilhelm war längst tot – kehrte er zu seinem Schoßkind, der Loreley, zurück, diesmal mit verdoppeltem Eifer. In beweglichen Tönen ruft er in seinem Aufruf von 1903 aus:

„… Und wenn die Sonne im Westen sinkt, wenn der Tag zur Neige geht und es will Nacht werden, Nacht, tiefe, stille Nacht, – dann möge das Abendrot, die untergehende Sonne noch das Märchenbild der Sage und Phantasie auf einsamer Höhe verklären und des blassen Monden Silberschein Loreleyberg und Loreleydenkmal überfluten und Elfen und Nixen unser Traumbild in wogendem Reifen umschweben.“

Aber auch seine rührenden Töne fanden nur ein schwaches Echo. Nichtsdestoweniger fand am 22. November 1903 im Saalbau „Hohenzollern“ zu St. Goarshausen unter dem Vorsitz von Glücklich eine Versammlung zur Gründung eines Loreleydenmalvereins statt, bei der auch das von der Firma Gebrüder Feile, Wiesbaden, gefertigte neue Denkmalmodell gezeigt wurde. Man war sich nur noch nicht darüber einig, ob die Jungfrau in Stein zu hauen oder in Bronze zu gießen sei und ob sie auf der Spitze des Berges thronen oder auf einem Felszacken hocken sollte. Letzteres wäre allerdings für eine Sängerin reichlich unbequem gewesen, was man auch zugab. Zum Glück kam niemand auf den Einfall, in den jungfräulichen Leib ein Grammophon einbauen zu wollen, das, mit einem Uhrwerk versehen, jeden Abend von acht bis zehn den St. Goarshäuser Jünglingen den Kopf verdreht hätte.

Die schwach besuchte Versammlung blieb denn auch ohne Ergebnis, da das gesund denkende Volk seine Teilnahme versagte, zumal auch die einheimischen Behörden ihre Mitwirkung ablehnten. Nur ein kleines Häuflein Unentwegter verblieb. Im deutschen Blätterwald aber erhob sich ein gewaltiger Entrüstungssturm. „Zu Hilfe! Zu Hilfe!“ schrieb ein Frankfurter Blatt.“ Nun soll gar der braven Loreley ein Denkmal angetan werden! Sie hat doch gar nichts Böses mehr verbrochen, seitdem ihretwegen die Wellen den Schiffer mit samt dem Kahn verschlangen. Und das ist auch nicht einmal ganz gewiß. Die größere Wahrscheinlichkeit pricht sogar dafür, daß der verliebte Bursche selbst Schuld dran trug …“

Und noch spöttischer lautete die Glosse, die der „Kladderadatsch“ brachte:

Die Klage der Loreley

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß man in aller Still‘
Das Märchen aus alten Zeiten
In Marmor aushauen will.

Ich saß so bequem doch hier oben
Und kämmte so manches Jahr,
Vom Abendglanz umwoben,
Mit goldenem Kamme mein Haar.

Nach Herzenslust durft‘ ich singen,
Das gab einen mächtigen Klang,
Hoch ließ es die Wellen springen,
Auch manches Schifflein zersprang.

Nun soll ich aus marmorner Kehle
Begrüßen den funkelnden Rhein,
Und sind mir doch Herz und Seele
Gebannt in den frostigen Stein.

Die Schönste seit uralten Tagen,
Nun war ich’s die längste Zeit.
Bin Stein ich erst, werden sie sagen:
Zu schwammig, zu fett und zu breit!

Drum klag‘ ich im Abendrotscheine:
0 wär‘ doch erst alles vorbei,
Vorbei diese häßliche, kleine,
Erbärmliche Philisterei! …

Der ganze Spuk ging zu Ende wie das Hornberger Schießen. Der brave Glücklich legte still entsagend einen Trauerflor an und begrub seinen Traum für immer.

Es verdient hier erwähnt zu werden, daß nach dem Weltkrieg sogar die deutschamerikanischen Sangerbünde den Plan faßten, die Loreley zu „ehren“, allerdings in einer verständigeren. Form, nämlich durch Errichtung eines, dem deutschen Lied gewidmeten Sagentempls auf der Gipfelhöhe des Berges. Auch dieser Plan blieb unausgeführt. Aus welchen Gründen wissen wir nicht. Aber ein schiefer Gedanke ist nie schief genug, als daß sich nicht irgendeiner fände, der ihn noch schiefer drehte. Ein neuer, diesmal ganz ausgefallener Komet war inzwischen am Denkmalshimmel aufgetaucht: Danny Gürtler, der „König der Bohème“ wie er sich nannte, ein seiner Abenteuer und Verstiegenheiten wegen in ganz Deutschland bekannter Kabarett- und Vortragskünstler. Dieser Allerweltskerl, ein baumstarker, schnauzbärtiger Gesell mit wildfunkelnden Augen und schwarzem Zigeunerhaar angeblich stammte er aus Ungarn- hatte es sich zur Aufgabe gestellt, Heinrich Heine am Rhein ein Denkmal zu errichten. Mit einem gipsernen Heinrich zog er von Stadt zu Stadt und suchte mit gewaltigem Stimmaufwand und erschrecklichem Armgewichtel seinen Plan durchzusetzen, fand aber keine Gegenliebe. Alle Städte bedankten sich dafür, seinen Schützling aufzunehmen.

Schließlich landete Danny Gürtler in St. Goarshausen. Hier, sagte er sich, an der Wirkungsstätte der Loreley, würde sein herrliches Geschenk sicher Freude und Verständnis auslösen. Aber wieder täuschte er sich. Sein Verlangen, ihm am Fuße des Loreleyfelsens einen Platz für seinen gipsernen Heinrich einzuräumen‚ nötigenfalls durch Kauf, wurde von der Stadt abgelehnt. Was tat der zürnende Jupiter? Er postierte sich am hellichten Tage mitten auf den St. Goarshäuser Marktplatz, wo sich eine große Volksmenge versammelt hatte, hielt an diese eine, mit allgemeinen Grinsen aufgenommene donnernde Ansprache, und dann – dann kam der Höhepunkt. Er zog seine Hosen ab, mit der Richtung nach der Bürgermeisterei hin, und forderte zwei Buben auf, zum Stadtoberhaupt hinzulaufen und ihm seine Einladung zu überbringen. Welcher Art diese Einladung war, kann sich jeder denken. Die Buben, begeistert von dem Feez, sausten denn auch los, kehrten aber bald unter großem Halloh zurück mit der Meldung: „Er will nit!“ Mit andern Worten, der Bürgermeister lehnte es ab, der Berlichinger Einladung Folge zu leisten. Zugleich erschien die Polizei, die dem unverfrorenen Zigeunerhäuptling den guten Rat gab, schleunigst zu verduften, wenn er nicht mit samt seinem gipsernen Heinrich im städtischen „Bolles“ die Loreley singen hören wolle.

„Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild gestalten!“ deklamierte der nackige Danny mit verächtlicher Geste, machte dann unter endloser Heiterkeit der Zuschauer wieder „Toilette“ und versenkte seinen gipsernen Heinrich unter geheimnisvollem Gemurmel in den Rhein. – Es war ein Volksfest, würdig, von einem rheinischen Barden besungen zu werden. Damit schloß sich der Vorhang über dem letzten Akt der Tragikkomödie um das Loreley-Denkmal. Hoffentlich bleibt der rheinische Götterberg von ferneren Anbiederungen dieser Art verschont und, frei von Eingriffen durch Menschenhand, in seiner unberührten Schönheit und Größe erhalten!