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1850 – 1866

Das Ende des Herzogtums Nassau

Den französischen Bourbonen sagt man nach, sie hätten nichts gelernt und nichts vergessen. Ähnlich erging es dem Herzog von Nassau. Zwar verlangt die Gerechtigkeit, zu bekennen, daß Herzog Adolf nach den aufrüttelnden Revolutionswirren von 1848 ehrlich bemüht war, die Versprechungen, die er seinem Volk gegeben, einzulösen. In der neuen nassauischen Verfassung von 1849 wurden die Grundrechte des Volkes anerkannt, die Standesrechte aufgehoben, eine einheitliche Kammer, die Volkskammer, eingesetzt, ein neues Gemeindeverwaltungsgesetz geschaffen, die öffentliche Armenpflege geordnet, Pressefreiheit gewährt, Vereins- und Versammlungsrecht bewilligt, die Zehntablösung in Angriff genommen, Schwurgerichte eingerichtet, politische Begnadigung gewährt, die wegen Forst- und Jagdvergehen verhangenen Strafen niedergeschlagen und anderes mehr. Alles dies zeugte von dem guten Willen der Regierung, mit dem Volk in Frieden zu leben. Die nassauische Staatsmaschine glich einer Mühle, die frisches sprudelndes Wasser bekommen hatte und lustig klapperte. Aber allmählich wurde das Bächlein immer dünner, immer armseliger und schließlich stand das Rad still. Die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt hatte sich wie ein Schatten verflüchtigt. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen hatte die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone abgelehnt. Das sogenannte Rumpfparlament zu Stuttgart war durch Militär auseinandergesprengt worden. Der wiederhergestellte Bundestag zu Frankfurt unter Österreichs Vorsitz hatte seine unheilvolle, alle aufstrebenden Kräfte niederquetschende Tätigkeit wieder aufgenommen. Die Rückschriftlerei war in den deutschen Landen wieder am Werk, genau wie nach 1815.
Es war die Zeit, von der ein Kölner Blatt, der “Rheinische Publizist“, im Jahre 1863 treffend schrieb: “Deutschland ist berühmt als das Land des Bundestages, der 38 teiligen Einheit und der 999.000 Vereine“.
Unter dem Einfluß des elenden Bundestages begann auch in Nassau, genau wie in den meisten andern deutschen Staaten, die sogenannte Rückwärtsrevision von Verfassung und Verwaltung. Die fortschrittlichen Gesetze und Volksgerechtsame von 1848 wurden eingeschränkt, verändert, verbogen und schließlich ganz aufgehoben. Der Kampf der drei Parteien: der Konservativen, also der Bundeshörigen, die für ein Großdeutschland unter Österreichs Führung schwärmten, der Liberalen, die auf die Einigung Deutschlands unter Preußen mit Anschluß Österreichs hinstrebten, und der Klerikalen, die ihr eigenes Süppchen an dem schwachen Staatsfeuer zu kochen versuchten, setzte mit neuer Wucht ein. Die Zwiespaltstimmung wurde verschärft durch die fortgesetzte Schließung und Wiedereröffnung des Landtages.
Am nassauischen Hofe selber bestand eine österreichische und eine preußische Richtung. Der von persönlichen Neigungen geleitete Herzog geriet immer mehr in das Fahrwasser der ersteren. Seine frühere Vorliebe für Preußen war ins Gegenteil umgeschlagen, angeblich, weil er nach dem Versagen Friedrich Wilhelm IV. an dem Glauben an Preußen als Einiger Deutschlands irre geworden war und der kriegerische Geist, der mit dem Regierungsantritt König Wilhelm I. die “neue Aera“ zu durchwehen begann, ihm nicht behagte, da er sich die Lösung der deutschen Frage “anders“ gedacht hatte. Dieses “Anders“ war für ihn Anlaß, auch den im Jahre 1859 von den Vaterlandsfreunden gegründeten “Deutschen Nationalverein“ mit allen Mitteln zu bekämpfen, wenn auch ohne Erfolg.
Wie war’s nun in St. Goarshausen? Wie wir schon früher erwähnten, hatte das wirtschaftliche und soziale Leben hier durch die Errichtung wichtiger Amtsstellen, die Errichtung von Schulen, den Ausbau eines neuen Wegenetzes und vor allem durch den Bau der Eisenbahn einen gewaltigen Impuls erhalten. Dieser Aufschwung kam zugleich dem politischen Leben zugute. Hatte man sich bisher um die hohe Politik so wenig wie möglich gekümmert, so waren seit 1848 die denkenden Geister auch hier in Bewegung geraten und nahmen an dem großen Geschehen um die Einheitwerdung des deutschen Vaterlandes tätigen Anteil.
Da ist es nun sehr bemerkenswert, in den alten Zeitungen und Aufzeichnungen nachzugraben. Man findet da so manches, was diese Keim-Zeit des deutschen Einheitwerdens beleuchtet und die Kämpfe zeigt, die sie begleiteten. Auch ist es erfreulich zu sehen, wie in jener bedenklichen Zeit, die deutsch -völkisch Gesinnten der beiden Schwesternstädte St. Goarshausen und St. Goar verständnisvoll Hand in Hand arbeiteten, ungeachtet dessen, daß die eine “nassauisch“ und die andere “preußisch“ war.
So berichtet das St. Goarer Kreisblatt vom 12. Januar 1863 über eine Versammlung des Nationalvereins, die in dem Gasthof “Zur Stadt Mannheim“ zu St. Goarshausen – dieser Gasthof hatte damals noch einen großen Saal- stattfand, zu der auch die St. Goarer Gesinnungsgenossen eingeladen waren, wie folgt:
“Gestern wohnten wir der auf Einladung und unter dem Vorsitz des Herrn Prokurators Dr. G. Freudenberg in unserer Nachbarstadt St. Goarshausen abgehaltenen Versammlung von Mitgliedern und Freunden des Nationalvereins bei. Wir nahmen mit freudiger Anerkennung davon Akt, daß sämtliche Redner, darunter mehrere ersten Größen der Nassauischen Kammer wie Dr. Karl Braun und Dr. A. Lang von Wiesbaden, betonten, daß der Nationalverein durch die augenblicklich trüben Wolken an Preußens politischem Horizont nicht an dem preußischen Volk verzweifeln dürfe, sondern unverbrüchlich an dem Grundsatz eines einigen Deutschlands unter Preußens Führung festhalten müsse, wogegen die spezifisch preußischen Interesse in dem Gesamtdeutschland aufgehen und über dem schwarz-weißen Banner das schwarz – rot – goldene in erhabener Majestät wehen müsse. Alle sprachen die Überzeugung aus, daß Preussen diese seine erhabene Mission erfüllen werden, sobald seine inneren Wirren sich geklärt haben werden, was durch das Festhalten der Volksvertretung an den verfassungsmäßigen Rechten von 1849 gewiß erreicht werde. In diesem Sinne wurde eine Zustimmungs- und Vertrauensadresse an das preußische Abgeordnetenhaus einstimmig angenommen. Die in gemütlicher, aber gehobener Stimmung in dem festlich beflaggten Saal des Gasthauses “Zur Stadt Mannheim“ tagende, aus 70 Köpfen bestehende Versammlung wurde, nachdem noch zahlreiche Beitrittserklärungen zum Nationalverein erfolgt waren, kurz nach 6 Uhr abends mit einem Hoch des Vorsitzenden auf ein einiges, mächtiges, deutsches Vaterland, das Land unseres Glaubens, unserer Liebe und unserer Hoffnung geschlossen.
Der erhebende Eindruck dieses Tages wird uns unvergeßlich bleiben.“
In jene Zeit fällt auch die Gründung des ersten St. Goarshäuser Schützenvereins, über den wir im Abschnitt “Vereinswesen“ ausführlicher berichten. Auch die Schützenvereine hatten, ebenso wie die Männergesangvereine, den deutschen Einheitsgedanken auf ihre Fahne geschrieben und wurden dieserhalb “von oben“ mit nicht geringem Argwohn beschnüffelt.
Aber alle Sturheit nützte der Regierung nichts. Bei den Landtagswahlen vom November 1863 erlitt sie eine neue Niederlage. Im St. Goarer Kreisblatt vom 27. November 1863 lesen wir:
“Gestern, am 25. ds. war drüben im Nassauischen Abgeordnetenwahl. Auch dort fiel das Resultat für die Fortschrittspartei aus. Das Städtchen St. Goarshausen hatte deshalb festlich geflaggt und abends ertönten Böllerschüsse.“ Nun war der Krieg zwischen der Regierung und den Ständen da und dauerte bis zum Ende des Herzogtums. Die Versammlungen der Liberalen wurden verboten. Die Regierung hatte überall ihre Spitzel, die mit Argusaugen wachten und namentlich den “Umtrieben“ des Nationalvereins mit wahrem Feuereifer nachspürten, denn “national“ war für sie gleichbedeutend mit “preußisch“, und das war für sie so gut wie ein Staatsverbrechen. Zum Glück floß zwischen dem nassauischen und dem preußischen Ufer der Rhein, auf dem sich häufig zur Dämmerzeit oder nachts ein heimlich Kähnlein von St. Goarshausen nach St. Goar bewegte, darin die so eifrig gesuchten “Staatsverbrecher“ saßen, um drüben an Bord eines Dampfers oder an sonst einer spionfreien Stelle ihre Beratung zu halten.
Es dürfte hier nicht der Platz sein, in eine Erörterung der innenpolitischen Wirren, die in jener Zeit die Geister aufeinander platzen ließen, einzutreten. Es möge nur gesagt werden, daß es auf die geringe Volkstümlichkeit der nassauischen Regierung mit ihrer anmaßenden Beamtenherrschaft zurückzuführen ist, daß der politische Umschwung sich so reibungslos vollzog. Es sprach dabei der seit 1848 im Volksbewußtsein schlummernde deutsche Gedanke mit, der nur im Anschluß an Preußen Aussicht auf Verwirklichung hatte. Man war der Kleinstaaterei mit ihrem landständischen Froschgequake und amtlichen Fliegenfängerei müde und sehnte sich danach, aus dem engen Käfig herauszukommen und als freie Deutsche teilzuhaben an den großen völkischen Dingen, die sich vorbereiteten.
So kam das ereignisreiche Jahr 1866 heran. Die Verhältnisse zwischen Preußen und Österreich in der Schleswig-Holstein’schen Frage hatten sich derart zugespitzt, daß nur ein Waffengang die Entscheidung bringen konnte, eine Entscheidung die zugleich der Frage: Großdeutschland mit Österreich oder Kleindeutschland mit Preußen, galt. Am 11. Juni 1866 beantragte Österreich die Mobilmachung des Bundesheeres gegen Preußen. Der Antrag wurde im Bundestag trotz Preußens Einwand mit neun Stimmen – darunter auch Nassau – gegen fünf angenommen. Die Mehrheit der nassauischen Stände trat sofort in schärfste Gegnerschaft mit der Regierung und verweigerte auch den verlangten Kriegskredit von 500.000 Gulden.
Aber dem Herzog war nicht zu helfen, so wenig wie seinen “Kollegen“ von Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen und Hannover. Denn auch gegen politische Blindheit kämpfen Götter selbst vergebens. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Am 14. Juni stimmte der nassauische Gesandte in Frankfutt nach der Weisung seiner Regierung für Österreich und damit war der Krieg da.
Von St. Goarshausen waren zwei Mann eingerückt: der Glaser und spätere Polizeidiener Christian Gemmer und der Metzgermeister Johann Deinet, die beide später wohlbehalten zurückkehrten.
Im ganzen hatte Nassau 5400 Mann zu der Bundesarmee gestellt, aber der ganze Feldzug dieses bunt zusammengewürfelten Heereshaufens war von vornherein zum Fehlschlag verurteilt. Er hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit der Reichsarmee, seeligen Andenkens, die hundert Jahre vorher gegen den “Alten Fritz“ ins Feld zog. Die Oberleitung war jämmerlich, die ganze Leitung schülerhaft. Die Truppenteile tappten hin und her, wußten nicht recht, wo sie waren, wem sie zugehörten und gegen wen sie fechten sollten, kurz – es ging aus wie das bekannte Hornberger Schießen.
Geradezu erheiternd waren die Vorgänge am Mittelrhein. Hier wurde der Krieg zu einem wahren Operettenkrieg. Zwischen Bingen und St. Goar fuhr ein mit preußischen Soldaten gefüllter Zug hin und her – immer hin und her – vollführte zur Einschüchterung der Rechtsrheiner einen Heidenlärm und täuschte ein aufmarschierendes Armeekorps vor. St. Goar und St. Goarshausen, die beiden Schwesternstädte, die bisher fridlich miteinander gelebt hatten, waren plötzlich “Todfeinde“ geworden, – wenigstens sollten sie es sein, denn linksrheinisch war preußisch und rechtsrheinisch nassauisch, dazwischen floß der Strom, der sich um das Katz- und Mausspiel an seinen Ufern wenig kümmerte. Beide Ufer beschnüffelten und belungsten sich wie zwei feindliche Indianerstämme. Die St. Goarshäuser hielten Ruhe, zumal sie nicht mal eine Flinte besaßen, höchstens ein Jagdgewehr. In St. Goar dagegen war ein Bataillon preußischer Landwehr von Koblenz heraufgezogen, das kampfbereit wartete, ob von drüben ein Schuß fiel. Aber es kam keiner.
Sogar eine “Rheinmarine“ war erschienen. Ein Haniel-Schleppdampfer in preußischen Diensten war als Kaperkreuzer getarnt worden. Torpedos gabs noch nicht. Er war daher nur mit einer alten Kanone bestückt. Da diese aber keine Gelegenheit hatte, zu bumsen, so begnügte man sich mit dem Kapern St. Goarshäuser Fischernachen und sonstiger gefährlicher Kriesschiffe. Vornehmlich fahndete man nach Weinladungen, aber diese hatten sich rechtzeitig in die Keller gerettet.
Eines Tages aber – am 4. Juli – geschah etwas Außergewöhnliches: „Eine Kugel kam geflogen“, schmetterte der St. Goarshäuser Apotheke ins Fenster und bohrte sich rücksichtslos in die Wand. Wie die Heldentat zustande kam, ist nicht ganz klar geworden. Es wird vermutet, daß die Landwehr drüben aus Langeweile nach Spatzen schießen wollte und ein Schuß dabei zu hoch ging. Man war entrüstet in St. Goarshausen – bis dann die preußische Einquartierung kam und den Frieden zwischen den beiden “Indianerstämmen“ wieder herstellte.
Am 3. Juli 1866 war Österreich bei Königgrätz von den Preußen vernichtend geschlagen worden. Es folgten die Verhandlungen zu Nikolsburg und am 23.August der Friede zu Prag, dem bald darauf die süddeutschen Staaten sich anschlossen. Österreich schied aus Deutschland aus und das Herzogtum Nassau wurde mit einer Reihe anderer deutscher Kleinstaaten dem Königreich Preußen einverleibt.
Herzog Adolf, der am 15. Juli sein Land verlassen hatte, nahm am 8. September 1866 im Feldlager zu Günzburg an der Donau Abschied von seinen Truppen, dankte ihnen für ihre Treue und ermahnte sie, das Geschick würdig zu tragen. Er wurde von Preußen mit 8 1/2 Millionen Talern unter Belassung seiner Schlösser abgefunden. Seine süddeutschen Genossen hatten es besser. Sie blieben auf ihren Thronen hocken, obgleich ihre Schuld nicht weniger groß war.
Im Exil hatte er Zeit, darüber nachzudenken, daß die Weltgeschichte ihre eigenen Schicksalsgesetze hat und daß das Leben eines Volkes ein lebendiger Strom ist, den kein Herrscherwille aufzuhalten vermag. Ein tausendjähriges Fürstengeschlecht, das dem deutschen Reich einst einen Kaiser und den Niederlanden ihren Befreier, den großen Oranier, gegeben, war mit ihm von der Weltbühne abgetreten. Das Exherzog Adolf später (1890) im Alter von 73 Jahren durch Erbfolge, also durch Zufall, noch Großherzog von Luxemburg wurde (er starb 1905), ändert an der Sache nichts. Das Herzogtum Nassau war begraben und mit dem Aufstieg Preußens der zweite Schritt zur Einheitwerdung Deutschlands geschaffen.
St. Goarshausen, das in seiner buntfarbigen Geschichte so manchen Herrscherwechsel erlebt hatte, war auf Grund des Eingliederungsgesetzes vom 3. Oktober 1866 preußische Amtsstadt geworden. Sein neuer Landesvater war König Wilhelm I.

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Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.