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1794 – 1800

Von der französischen Revolution bis zur Napoleonszeit

Die neue gärende Zeit war da. Wie eine unaufhaltsame Lawine wälzten sich die französischen Revolutionsheere über die rheinischen Lande. Ein Vorwand dieses Überfalles war ihnen die Aufnahme, die der geflohene französische Adel seitens der rheinländischen Fürsten, namentlich der geistlichen Kurfürsten gefunden hatte.
Die Kosten mußte das deutsche Volk bezahlen. Zwar fehlte es nicht an verworrenen Schwärmem, die der neuen Heilsbotschaft zujubelten und den Freiheitsbaum umtanzten. Noch heute steht in Hirzenach bei St. Goar die von den Sansculotten gepflanzte Freiheitslinde, die später Freiligrath so begeistert besungen hat. Aber auch tapfere Abwehr gab es und Erzherzog Karl gelang es, die Revolutionsmänner wiederholt mit blutigen Köpfen über den Rhein zurückzuwerfen. Indessen – es waren alles nur Teilsiege, die an dem Schicksal Deutschlands nichts änderten. Es fehlte an einem geschlossenen Heerbann, an einer einheitlichen, zielbewußten Führung. Bezopfte Söldnerheere, ohne Schwungkraft, ohne Begeisterung, ohne ein großes hinreißendes Ziel im Herzen, konnten gegen das aus der Erde gewachsene, kampfesfreudige, von einem großen Gedanken besessene französische Volksheer auf die Dauer nicht an. Die zerlumpten Freiheitsmänner sangen die aufrüttelnde Marseillaise. Die Deutschen sangen nicht. Sie hatten kein gemeinsames Kampflied, weil sie kein gemeinsames Vaterland hatten, sondern nur Länder und Ländchen.
Die ersten, die vor der Marseiller Weise ausrissen und sich selbst in Sicherheit brachten, waren die geistlichen Herren, die Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln.
Deutsche Kaiser wählen und wieder absetzen, wenn sie ihnen nicht zu Willen waren, das war leichter als kämpfen. Aber auch die tausend anderen “Landesväter“, die wie Milben am deutschen Volkskörper gesessen hatten, waren nicht viel besser.
Zu den wenigen, die eine Ausnahme machten, zählte außer dem Preußen der Landgraf Hessen-Kassel, zu dessen Gebiet unsere Heimat gehörte. Auch den Fürsten von Nassau darf rühmlich nachgesagt werden, daß sie sich – wenigstens in den ersten Jahren – mit allen Kräften gegen die westliche Heilsbotschaft wehrten.
Groß waren infolgedessen die Bedrängnisse, die das Hin- und Herfluten der kämpfenden Truppen der nassauischen Heimat brachte. Am 11. November 1792 wurde dem Fürsten Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg von dem französischen General Custine eine Brandschatzung von 300.000 Franken auferlegt und außerdem aus dem Weilburger Schloß alles greifbare Tafelsilber, nebst Pferden, Fruchtvorräten und Kanonen geraubt. Und da keine Fahne da war, die die Freiheitshelden als Siegesbeute an den Pariser Konvent schicken konnten, schnitten der General und die Herren Offiziere sich Stücke und Fransen von der roten Samtverkleidung im Thronsaal des Schlosses ab, als Beweisstücke von dem siegesreichen Feldzug gegen ein wehrloses Ländchen. Zahlten die Roten aber mal etwas, so zahlten sie mit dem wertlosen republikanischen Papiergeld, den Assignaten, von denen ein zeitgemäßer Spruch sagte:
“Aus lauter Lumpen bin ich gemacht!
Lumpen haben mich ins Land gebracht.
Von Lumpen nähren Lumpen sich
Und mancher wird ein Lump durch mich.“
Auch unser Städtchen St. Goarshausen blieb von den mehr und mehr zunehmenden Kriegsnöten nicht verschont und mit Bangen sah man den kommenden Ereignissen entgegen. Sie traten früher ein als man ahnte. Es kam die verhängnisvolle Schicksalswende von 1794, die unserer Heimat ein gänzlich neues politisches Gesicht gab: die Einnahme und Zerstörung der Burg Rheinfels. Die gewaltige Feste Rheinfels, dieses rheinische Gibraltar, das im Verein mit der Katz seit Jahrhunderten allen welschen Anstürmen getrotzt, war den Herrschaften an der Seine von jeher ein Dorn im Auge. Ob Royalisten, ob Jakobiner – in diesem Punkte waren sie sich alle gleich. Und gerade die letzteren sahen es als eine heilige Mission an, der alten deutschen Trutzfeste, die sogar einem Ludwig XIV. widerstanden, im Namen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Garaus zu machen. Dazu kam die strategische Erkenntnis: Ohne Rheinfels keinen Rhein! Wer den Rhein haben wollte, mußte durch dieses Tor. Rheinfels war die Wacht am Rhein.
Es ist das Schicksal der Völker, daß ihnen in sturmvollen Zeiten, wo es sich um Sein oder Nichtsein handelt, oft Männer erwachsen, die die Kraft besitzen, das schlingernde Schiff vor dem drohenden Untergang zurückzureißen, aber auch kritische Zeiten gibt es, wo das Verhängnis umherschleicht und wodurch das Fehlen eines mutvollen Führers von vornherein der Untergang gegeben ist. Hätte Rheinfels 1794 einen Kommandanten gehabt wie hundert Jahre vorher den General von Götz, so hätte es den Ansturm der Sansculotten mit Leichtigkeit zuruckgeschlagen. Die Besatzungstruppen waren ausreichend. Denn auf der Katz lag unter dem Befehl des Obersten Lenz ein Bataillon von 350 Kämpfern. Ein gleichstarkes Jägerbataillon mit einer Schwadron Husaren hielt. St. Goarshausen und Wellmich besetzt. Dazu kam die auf Rheinfels sowie in St. Goar und der Neustadtkaserne untergebrachte Garnison, so daß die gesamte, dem Kommandanten zur Verfügung stehende Streitmacht an 3000 Mann betrug.
Nicht weniger ausreichend war die Zahl der Geschütze. Auf der Katz standen 10 schwere Kartaunen, auf der Höhe von Patersberg, wo die Stellung heute noch erkennbar ist, eine volle Batterie, desgleichen auf dem Nocherner Berge, während die jenseitigen Werke nicht weniger als 79 Kanonen, 4 Mörser und 25 kleinere Stücke und Böller umfaßten. Dazu der riesige Vorrat an Vollkugeln, Kartätschen, Granaten, Bomben, Brand- und Leuchtkugeln, Patronen, Pulver usw. Allerdings manches war vernachlässigt und veraltet, viele Teile schadhaft und der Schießbedarf teilweise durch Feuchtigkeit beschädigt. Auch die Bedienung der Geschütze war verhältnismäßig schwach.
Umso ausgiebiger waren die Lebensmittelvorräte ausgestattet, was schon daraus hervorgeht, daß allein 80 Fuder Wein, 600 Ohm Bier und 80 Ohm Branntwein in den Kellern lagerten. Die Gefahr, zu verdursten, war also nicht zu befürchten. Die Besatzung hätte mit Leichtigkeit Monate lang durchhalten können.
Aber der Kommandant hieß diesmal nicht Görz, sondern Generalmajor Philipp Valentin von Resius, ein Greis von 77 Jahren, schlapp, fahrig und unentschlossen, den die unbegreifliche Kurzstirnigkeit des Kasseler Landgrafen zum Oberbefehlshaber von Rheinfels ernannt hatte. Um das Unglück vollzumachen, hatte er ihm als Artillerieführer den Generalmajor Lempe beigegeben, der mit Resius verfeindet war, auf der Katz sich bei dem Oberst Lenz aufhielt und dem Hauptmann Bach auf Rheinfels die Festungsgeschütze allein überließ. Unter solchen zerfahrenen Umständen mußte es kommen wie es kam.
Nachdem am 22. Oktober 1794 die Kurfürstliche Trierische Residenz Koblenz von den französischen Truppen des Generals Jourdan besetzt worden war, marschierte General Vincent von dort mit 6000 Mann und einer leichten Feldbatterie über den Hunsrück gegen Rheinfels und schlug in dessen Umgebung sein Lager auf. Er wurde aus der Festung mit einer Anzahl Geschosse empfangen, die aber ohne Wirkung blieb. Als beim ersten Schuß die morsche Lafette des Geschützes zusammenbrach und die Kugel einem hessischen Grenadier den Kopf abriß, verlor der alte Kommandant selber den Kopf.
Nach dem 31. Oktober erhielt die Division Vincent eine bedeutende Verstärkung durch die Division Lebrun, die gegen Werlau hin ein Lager bezog und Belagerungsgeschütze mitgebracht hatte. Durch Feuer der Festung hätten die Vorbereitungen sehr verhindert werden können, aber Resius mahnte zur Sparsamkeit, da jeder Schuß 5 Gulden koste. Die Batterien auf der rechten Rheinseite versagten ebenfalls. Die wenigen Geschosse, die sie abfeuerten, gerieten zu kurz und richteten im eigenen Gelände Schaden an.
Dann kam der verhängnisvolle Schicksalstag. Am 1. November erschien bei den Vorposten auf Rheinfels ein französischer Trommler, angeblich als Fahnenflüchtling, mit wichtigen Nachrichten. Gegen alle Kriegsregeln wurde er mit unverbundenen Augen durch die Festung zum Kommandanten Resius geführt, der mit Schrecken sich von dem gallischen Aufschneider die Märe aufbinden ließ, es seien 30.000 Mann im Anzug, die in der nächsten Nacht einen Sturm auf die Festung und Stadt unternehmen würden. Resius war von der Kunde so verdattert, daß er gegen alle Vorsichtmaßregeln den Franzosen wieder aus der Festung entließ und noch am gleichen Abend einen Kriegsrat abhielt, der angesichts der unversehrten Feste den Beschluß faßte, Schloß und Festung Rheinfels sowie die Stadt St. Goar in der Nacht zu räumen und sich – Rette sich, wer kann! – nach dem jenseitigen Ufer zu flüchten, um der drohenden Überrumpelung und Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Es war eine Tat der Feigheit, wie sie diese bedeutsame Stätte in den 600 Jahren ihres Bestandes niemals erfahren hatte. Der Besatzung selber ist kein Vorwurf zu machen. Sie war von gutem Mut beseelt, so daß Resius sich nicht einmal getraute, ihr den Beschluß bekannt zu geben. Man sagte ihr, sie solle sich für einen Ausfall um 12 Uhr nachts bereithalten. Aber schon um 11 Uhr begann der Abmarsch in die Stadt und das Übersetzen mit der fliegenden Brücke nach St. Goarshausen, von wo man mit der Besatzung von der Katz über Patersberg nach Kassel hin weitermarschierte. Die Eile war so groß, und der Schrecken der Rheinfelser Offiziere so gewaltig, daß manche Grenadier-Häuptlinge sogar Ihre Bärenmützen vergaßen. Abgebrochene Kartenspiele, angerauchte Pfeifen, Bissen an den Gabeln, halbleere Wein- und Biergläser, alles lag und stand umher. Selbst die drei Kanonen an der Brücke ließ, man stehen.
Die braven Bürger von St. Goar, namentlich die Schützenkompanie, der die Verteidigung der Stadt anvertraut war, packte bei dem fluchtartigen Abrücken der Truppen eine furchtbare Wut, die dem Kommandanten Resius beinahe das Leben gekostet hätte. Als er an dem Hause des Metzgermeister Kraft vorbeikam, stürzte dieser mit einem Beil auf ihn zu und schrie: “Ich schlag ihn tot, den Hundsfott!“ Im letzten Augenblick stolperte er über ein Scheit Holz, so daß der Schlag fehl ging und nur den Arm des Generals verletzte. Als Kraft sich zu neuem Hiebe aufraffte, wurde er mit Gewalt in sein Haus gezerrt. (P.Knab)
Die Franzosen, die das anfangs alles gar nicht glauben wollten und sich nur mit größter Vorsicht den unbemannten Festungswerken näherten, aus Angst sogar nicht mal eine Abordnung der Stadt empfangen wollten, bis sie durch einen Brief des mit der Ordnungshaltung beauftragten Notars Faber die unglaubliche Nachricht bestätigt erhielten und um Schonung der Stadt gebeten wurden, zogen am Vormittag zwischen 11 und 12 Uhr unterm Singen der Marseillaise in die leere Festung ein und besetzten auch die Stadt. Das erste war, daß jeglicher Verkehr mit dem rechten Rheinufer bei Todesstrafe verboten wurde. Die fliegende Brücke wurde abgebrochen. Die alten Schwesternstädte St. Goar und St. Goarshausen, die eine tausendjährige gemeinsame Geschichte hatten, waren auf französischen Befehl getrennt und lagen sich wie fremde Gewalten gegenüber. Für das viel geplagte Städtchen St. Goarshausen hatte dies wenigstens das Gute, daß es von den furchtbaren Bedrückungen und Brandschatzungen verschont blieb, mit denen die St. Goarer Bürger in den folgenden Jahren heimgesucht wurden.
Der feige General von Resius war inzwischen nach seiner Rückkehr mit mehreren seiner Offizieren verhaftet, ins Gefängnis geworfen und zur Hinrichtung mit dem Schwert verurteilt worden. Er wurde vor der versammelten Garnison der Feste Ziegenhain öffentlich degradiert, die Todesstrafe aber im letzten Augenblick vom Landgraf Wilhelm in lebenslänglich Haft verwandelt. Resius starb 1798 als 80
jähriger Greis in geistiger Umnachtung im Gefängnis zu Spangenberg.
Politisch blieben St. Goar und Rheinfels vorläufig im Besitz der französischen Republik, während St. Goarshausen mit der Niedergrafschaft Katzenelnbogen, zunächst noch dem Herrscherhaus Hessen – Rheinfels – Rotenburg unterstand, bis ein Friede mit dem deutschen Reich eine endgültige Entscheidung bringen würde.
Noch aber ragten hoch über St. Goar die verlassenen Mauern der Feste Rheinfels und schauten als leere Augen ins rheinische Land, dem sie 600 Jahre lang Schirm und Schutz waren. Bis auch ihnen die Todesstunde schlug. So erging denn im Jahre 1796 der Befehl die Feste bis auf den Grund zu zerstören. Das Getöse der Sprengungen, mit denen die Franzosen die widerstandslose Burg in Trümmer legten, war ihr Sterbegesang. Die alte Wacht am Rhein war nicht mehr. Ein Kämpe war gefallen, wie ihn stolzer und gewaltiger das Rheinland vorher und nachher nicht geschaut.
Die Katz blieb unter einer kleinen Kasseler Besatzung vorläufig noch bestehen. Aber auch ihre Tage waren gezählt. Im Jahre 1806 wurde sie auf Befehl Napoleons zerstört. Wir verweisen auf das Kapitel “Burg Katz und ihre Geschichte“, das alles Nähere darüber bringt.

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Die hier vorgestellten Ansichten entsprechen weder denen der Urheber dieser Internetseite noch möglicherweise dem modernen Stand der Geschichtsforschung.

Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.