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Von Urbeginn

Von Urbeginn

Versetzen wir uns im Geiste in die Zeit vor 2000 Jahren zurück. Der Rhein, der sich in Millionen von Jahren durch das Urgebirge hindurchgesägt hat, strömt noch in ungebändigter Kraft und Wildheit dahin. Urzeitartiges liegt noch über dem königlichen Strom. Keine Buhne, keine Kribbe beengt ihn, kein Dampfschiff, keine Eisenbahn wirft ihre Rauchfahne über ihn. Felskuppen, Sandbänke und Inseln recken sich noch von dichtem Busch bedeckt. Längs der Flußufer laufen nur schmale Pfade, die sich die Menschen im Laufe der Jahre mühsam gebahnt haben. Unzählige Wasservögel beleben den Strom, Fischschwärme tummeln sich in der kristallenen Tiefe. Sonst unendlicher Friede, der nur von Zeit zu Zeit unterbrochen wird durch den Marschtritt römischer Krieger am jenseitigen Ufer, die ihre Adler nach Köln oder Mainz tragen.
Noch ist keine Kirche und kein Kreuz zu sehen. Im Rauschen des Waldes lebt und webt Allvater Wotan. Wenn es blitzt, wirft Donar seinen Hammer. Der Loreleyfels ist Kultstätte der germanischen Frühlingsgöttin Freya. Noch walten die germanischen Gottheiten in unberührter Größe und Schönheit.
Nach und nach steigen die Menschen von den Hochflächen – denn diese waren zuerst besiedelt – ins Tal herab, sei es, daß der Fischreichtum sie lockt, sei es, daß sie erkannt haben, daß hier an dem Kreuzungspunkt dreier Täler die beste Überfahrtsstelle ist und ihnen damit eine lohnende Erwerbsquelle winkt. Allerdings klein und schmal nur war das Ufergelände um die Mündung der Forstbach und es hieß schon früh den Kampf mit der Natur aufnehmen. Die ursprünglichen Bewohner unserer Landschaft – schon um 1200 vor unserer Zeitrechnung nachweisbar hier ansässig – waren die Kelten, ein der arischen Rasse zugehöriges, ackerbautreibendes, dabei hochbegabtes, sangesfreudiges Volk, das später von den aus dem Norden vordrängenden Germanen – zuletzt von den Ubiern – vertrieben oder aufgesogen wurde. Die in Gallien (Frankreich) wohnenden Kelten wurden von Julius Cäsar unterjocht. Ihre letzten Reste finden sich noch in der Bretagne, in Irland und Wales. Kunde von der keltischen Besiedlung unseres Gebietes geben uns die Gräber, die man vor Jahren auf dem Hühnerberg über St. Goarshausen aufgedeckt hat und die außer Gebeinen Scherben von Tongefäßen enthielten, wie sie bei den Kelten und den mit ihnen verwandten Treverern üblich waren. Ebenso weisen die auf der Loreleyhöhe noch vorhandenen vorgefundenen Reste eines 100 Schritt langen Steinwalles mit einem davor liegenden verwachsenen Graben auf eine vorgeschichtliche Wallburg hin, in die sich die Bewohner der umliegenden Gehöfte bei Kriegsgefahr flüchteten.
Man rühmt den Kelten nach, sie seien die Erbauer der ersten Höhenstraßen in unserem Lande gewesen. Auch der alte Fahrweg von St. Goarshausen über Patersberg nach dem Hinterland, die spätere „Hessenstraße“, ist keltischen Ursprungs, wie auch gewisse Ortsnamen, wie z.B. Bornich, Wellmich, Kestert, Kaub, Lorch usw. auf die Kelten zurückzuführen sind. Vor allem ist es der Rhein der den Kelten seinen Namen verdankt. Er hieß keltisch “Rhynn“ (gleichbedeutend mit „Fluß“) woraus die Römer die Bezeichnung “Rhenus“ ableiteten. Die Germanen behielten das Wort “Rin“ bei. Während auf der linken Rheinseite die Römer immer mehr Raum gewannen und die in unserem Gau wohnenden Ubier durch Übersiedlung nach den linksrheinischen Gebieten das Feld geräumt hatten, waren es die Chatten und deren Bruderstamm, die Mattiaker, die nach mancherlei Durchzügen anderer Germanenstämme im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die früheren Plätze der Kelten zwischen Rhein, Lahn und Main einnahmen. Aber sie waren auf die Dauer den militärisch tüchtigen, einheitlich geführten Römern nicht gewachsen, die über den Rhein drängten und deren taktische Überlegenheit hauptsächlich in der Raschheit und Rücksichtslosigkeit bestand, wovon die Feldzüge des Drusus und dessen Sohn Germanicus Cäcar Zeugnis ablegen. Was sich nicht unterwarf und zu Sklavendiensten erniedrigte, wurde unbarmherzig niedergemacht. Aus dieser friedlosen Zeit stammt der unbändige Haß der Germanen gegen die römischen Eindringlinge, die, um sich gegen die Überfälle der “Barbaren“ zu sichern, genötigt waren, den sogenannten „Limes romanus“ zu errichten, ein durch Baumverhacke geschützter Pfahlgraben, der am Rhein bei Neuwied beginnend, über die Lahn näch dem Taunuskastell Saalburg und von dort weiter nach der Donau oberhalb Regensburg führte. Ansehnliche Reste davon sind heute noch in unserer Nachbarschaft – bei Holzhausen auf der Heide – vorhanden. Hatte man sich nun diesseits des Limes mit der Zeit mehr oder weniger an das Zusammenleben mit den Römern gewöhnt und sich teilweise mit ihnen vermischt, so nahm dieser Zustand um die Mitte des 3. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung ein von den Römern unerwartetes Ende. Aus Angegriffenen wurden die Germanen Angreifer. Der fremden Unterdrücker überdrüssig, hatten sich die Stämme in den benachbarten Gauen zu großen Völkerbünden zusammengeschlossen und bedrängten in unausgesetzten großen und kleinen Angriffen die Römergrenze. Dennoch dauerte es noch ein volles Jahrhundert, bis es den Allemannen im Verein mit den Chatten gelang, sie niederzuringen und die Römer über den Rhein zurückzuwerfen. Nur das Römerbad Wiesbaden – römisch: “Aquae Mattiacae“ – blieb noch eine zeitlang in ihrem Besitz.
Seinen endgültigen Todesstoß erhielt das Römerreich in jener gewaltigen Bewegung, die wir unter dem Namen Völkerwanderung kennen und die eine der seltsamsten Erscheinungen der deutschen Geschichte bildet. Eine urgewaltige Unrast, geboren aus der Raumenge, aus dem Drang nach besseren Siedlungsplätzen, verbunden mit dem, dem Deutschen von jeher eigenen Wandertrieb, hatte die germanischen Völkerschaften überfallen. Ein Stamm drückte auf den andern. Es war ein “Volk ohne Raum“.
Ungehemmte nordische Volkskraft brach als eine geschichtliche Götterdämmerung über die antike Welt herein. Ein fast krankhafter Drang nach dem Süden, nach Sonne und Wärme sprach dabei mit, schier als wollten sie dem Dunkel ihrer Wälder entfliehen und ewig-blauen Himmel über sich sehen. Leider sind die meisten an dieser “Krankheit“ gestorben. Alle, die ins Welschland zogen, sind im Romanentum untergegangen. Ewig schade um das viele kostbare deutsche Blut, das zum Völkerdünger wurde. Genau so, wie später unsere großen Kaiser des Mittelalters – allerdings durch eigene Schuld – an Italien und Rom verbluteten. Nur wenige deutsche Stämme sind ihrer Berufung treu geblieben und haben damit ihre Art erhalten. Dazu gehören, außer dem wurzelfesten Stamm der Niedersachsen und der Chatten (Hessen) die Franken, ein Völkerbund, zu dem sich die germanischen Stämme am Niederrhein, im Westfälischen und zum Teil auch im Hessischen zusammengeschlossen hatten. In diesen Franken lebte eine mit kriegerischer Tüchtigkeit gepaarte ungeheuere Kraftfülle, die nach einheitlicher Macht und räumlicher Ausdehnung drängte. In der Tat waren sie vom Schicksal bestimmt, die unsteten deutschen Volksstämme aus ihrer Eigenbrötelei herauszureißen und zu einem lebens- und staatsfähigen Gebilde zusammenzuschweißen.
Eine ihrer ersten politischen Taten, wenn man es so nennen darf, war die Bekriegung der Allemannen, die sich in ihrem Ausdehnungsdrang nach Gallien gewandt hatten und dabei mit den Franken in Reibung geraten waren. In der blutigen Schlacht bei Zülpich anno 496 wurden sie von dem Frankenkönig Chlodowech (Chlodwig) aus dem Geschlecht der Merowinger, der, wie die Legende erzählt, während des Kampfes zum Christentum übertrat, aufs Haupt geschlagen und in ihre Gebiete zurückgedrängt. Der Sieg der Franken über die Allemannen bedeutete zugleich den Sieg des römischen Christentums, das mit dem Glaubenswechsel König Chlodewigs Staatsreligion wurde und sich auch in unserem Lande, wenn auch nur zögernd, durchsetzte. (siehe Kapitel “Religion und Kirchenwesen“l)
Fortan herrschten hierzuland die Franken, mischten sich mit den Allemannen und Chatten und schufen so auch für unsere engere Landschaft die Volksform, die heute noch besteht. Wenn sich auch die Sprachgrenzen nicht genau festlegen lassen, so darf man doch sagen, daß die Mitte und der Westen Nassaus – also auch St. Goarshausen – rheinfränkisch, und der Osten – also die Gegend um Wiesbaden und Frankfurt – gemischt rheinfränkisch-allemannisch mit chattischem (althessischem) Einschlag ist, wie dies schon die jeweiligen Mundarten bezeugen.
In jene Zeit, also in die Mitte des 6. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, fällt ein für unsere engere Heimat bedeutsames Ereignis: das Erscheinen des Einsiedlers Goar, der sich um das Jahr 550 am gegenüberliegenden Ufer niederließ und von dort aus seine missionarische und menschenfreundliche Tätigkeit entfaltete. (siehe Kapitel “Religion und Kirchenwesen“!)
Mit ihm, oder besser gesagt, mit den neuen Verhältnissen, die sein Wirken Im Gefolge hatte, traten unsere, nach ihm benannten beiden Schwesternstädtchen aus dem Dunkel der Geschichte heraus und gewannen ihr historisches Gesicht. Aus der kleinen Kapelle, die der fromme Goar gegründet hatte, war mit der zeit ein ansehnliches geistliches Stift geworden, dem die karolingischen Könige durch Zuwendung zahlreicher Liegenschaften und sonstiger Vorrechte ihre Gunst bezeugten. Dazu kamen Schenkungen und Vermächtnisse begüterter Gläubigen, so daß das Stift allmählich auf beiden Seiten des Rheins über einen reichen Grundbesitz verfügte.
Diese ausgedehnten Besitztümer bedangen notwendigerweise zwischen beiden Ufern einen regen Verkehr und Güteraustausch, so daß allmählich am Ausgang des Forst- und Hasenbachtales eine kleine Ansiedlung entstand, die Keimzelle unseres heutigen St. Goarshausens.
Einen eigentlichen Namen hatte unser Ort im Anfang noch nicht. So lange es nur wenige Häuser waren, nannte man diese “bi. den Husun“ (bei den Häusern), oder “Husen bei Sanct Gewer“. Diese allgemeine Benennung verdichtete sich späterhin zu dem Wort “Husen“ oder auch “Hausen“, dann zu “Sanct Gewershausen“, aus dem schließlich der heutige Name “St. Goarshausen“ wurde.
Wir haben die geschichtlichen Fäden etwas ausführlich dargelegt, um dem Leser zu zeigen, wie aus den ursprünglichen Irrungen und Wirrungen sich allmählich ein fester Kern herausgeschält hat, auf dem die politische und kulturelle Entwicklung unserer Heimat weiterbauen konnte.
Allerdings, dynastisch war zu Anfang noch alles in Gärung. Das Reich war noch jung und die persönlichen Interessen und Machtgelüste waren vorherrschend. Das Königsgeschlecht der Merowinger, das anfänglich über das Frankenreich herrschte, (Chlodwig residierte in Paris, die späteren Herrscher in Soissons und Metz), hat mit seinen blutigen Familienfehden kein rühmliches Andenken hinterlassen, und es war wie eine Befreiung, als Pippin, der Majordomus (Kanzler) des Reiches, anno 751 die unfähigen Merowinger entthronte, sich zum König der Franken aufschwang und damit den Thron bereitete für seinen Sohn, den nachmaligen Kaiser Karl den Großen.

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Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.

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