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Das bürgerliche Leben vor 300 Jahren

Das bürgerliche Leben vor 300 Jahren

Wie war das bürgerliche Leben in jener längst verklungenen Zeit? Uns Neuzeitmenschen überkommt unwillkürlich ein vergnügtes Lächeln, wenn wir erfahren, was der brave Untertan damals “durfte“ und was er “nicht“ durfte, und wie er trotzdem, er mochte tun was er wollte, immer mit einem Bein im landesväterlichen Netz zappelte.

So hatte z.B. um das Jahr 1650, wie bereits im geschichtliche Teil berichtet, der Landgraf Ernst väterlich verfügt, dass bei Verlobungen nicht mehr als 4 Personen geladen und höchstens 4 Speisen gereicht werden durften. Ebenso durfte bei Hochzeiten nicht mehr tagelang geschmaust und gezecht werden. So was war Völlerei. Ein Tag genügte. Sonst kam der Büttel und warf die Gäste hinaus. Specksuppen oder ähnliche „Leckereien“ waren bei 10 Gulden Strafe verboten.

Und sollte sich jemand unterstehen einem jungen Ehepaar gar ein Hemd oder ein Sacktuch zu schenken. Das war Verschwendung und wurde streng bestraft. Wie es auch verboten war, zu Kindtaufen außer der Familie und den Gevattern noch andere Leute einzuladen, die Lärm machten. Es war schon gerade genug, dass das Kind schrie. Nicht weniger wurde das Trinken und Tanzen beschnitten. Spätestens um 9 Uhr abends mußte jedes Ehepaar brav nach Hause gehen, sich ins Bett legen und den Vorhang vorziehen, sonst kam der Büttel und schaute nach.

Noch verpönter war bei Begräbnissen das “Leidvertrinken“, oder wie es im Volksmund hieß, das „Fellversaufen“. Wer tot war, war tot und brauchte keinen „Beguß“ mehr. So hatte der brave Ernst für alles gesorgt. Das Volk sollte zur Mäßigkeit und Sparsamkeit erzogen werden und sei es auch mit Gewalt. Ob es die Landesväterlichen Anordnungen in allem befolgt hat, steht nicht verzeichnet. Und der Rhein ist verschwiegen.

Eine Wohlfahrtspflege im heutigen Sinne kannte man noch nicht. Sie wäre bei den beschränkten Mitteln der kleinen Gemeinde auch nicht leicht gewesen. Einer half dem andern, so gut es ging, wie auch in schwereren Fällen, bei unheilvollen Naturereignissen wie Brand, Eisgefahr, Wassernot und Pest der eine Nachbar getreulich dem andern beistand. Man war ja in dem engen Raum schicksalhaft aufeinander angewiesen. Was heute dem einen geschah, konnte morgen dem anderen widerfahren. Aus jener bedrängnisvollen Zeit rührt auch das Entstehen der St. Goarshäuser „Nachbarschaften“ her, die heute noch bestehen. Wir haben ihrer in einem besonderen Kapitel gedacht.

Einen Arzt gab es am Ort auch noch nicht. Ebenso keine Apotheke. Wer krank war, musste, wenn die Schröpfköpfe des Ortsbabiers versagten und wenn die Haus- und Geheimmittelchen nichts halfen, sich nach St. Goar wenden, wo schon seit 1579 ein landgräflicher Amtsarzt wirkte. In schwierigen Fällen wurden die Kranken nach dem Hospital Gronau bei Nastätten geschafft, einem früheren Kloster, das seit 1542 zu einem staatlichen Krankenhaus eingerichtet worden war. (siehe Kapitel „Ärzte und Apotheke“ !) Im übrigen waren die Bedürftigen, namentlich die Durchreisenden, auf die Mildtätigkeit der Kirche und der Seelsorger angewiesen. Wie aus den alten St. Goarshäuser Kirchenrechnungen von 1553 und 1572 ersichtlich, pflegten arme Studenten und Wanderburschen, die durchs Land zogen, beim Pfarrer anzuklopfen, um ein Scherflein für die Weiterreise zu erbitten. Der eigentliche Bettel war seit 1752 laut Rheinfelser Verfügung streng verboten und wurde mit 10 bis 25 Stockhieben bestraft. Wer gesund war, sollte arbeiten und nicht betteln. Eine vernünftige Maßregel, die hauptsächlich für arbeitsscheue Walzbrüder gemünzt war.

Ortsansässige Kranke und Schwache erhielten aus der hiesigen Kirchenkasse Weck, Wein, Zucker und andere Lebensmittel gespendet, so daß für die dringenste Not immer Hilfe war. Aus der gleichen wohltätigen Quelle wurden die Milchwecke bestritten, die man nach altem Brauch den Kindern am Palmsonntag und am Osterfest stiftete. Die Verhältnisse waren klein und bescheiden und man war mit dem wenigen was man hatte, zufrieden.

Über die schweren Drangsale, die unsere Altvorderen in den Kriegs- und Pestjahren durchgemacht haben und die unser Städtchen beinahe zum Erliegen gebracht hätten, haben wir in dem Kapitel „Leidenszeiten“ ausführlich berichtet. Einen Punkt wollen wir hier noch besonders berühren, der in sozialer Hinsicht die dunkle Seite der sogenannten guten alten Zeit bildete, nämlich die bereits erwähnte Leibeigenschaft, also das Abhängigkeitsverhältnis zum Landesherren. Zwar war die Form der Hörigkeit in den städtischen Gemeinwesen der Niedergrafschaft Katzenelnbogen also auch zu St. Goarshausen eine wesentlich mildere als auf dem flachen Lande, wo, namentlich im späteren Mittelalter, der Bauer mit Leib und Gut Eigentum seines Fürsten war und es sich gefallen lassen musste, dass er mit samt seinem Dorf verkauft oder verpfändet wurde. Die St. Goarshäuser Bürger waren in der Hauptsache zu Hand- und Spanndiensten bei Festungs- und Wegebauten verpflichtet. Auch die Unterhaltung der Mauern und Türme gehörte dazu, wozu noch die Soldatenunterkunfts-Pflicht sowie die Abgabe von Naturerzeugnissen kamen. (Siehe Kapitel „Steuern und Abgaben!“)

Nebenbei waren mit dem Leiheigenschaftsverhältnis noch eine Menge anderer Spitzfindigkeiten verbunden, die dem bürgerlichen Leben den Stempel der Unfreiheit aufdrückten. So durfte z.B. niemand sich verloben oder verheiraten, der nicht dazu die landesväterliche Genehmigung eingeholt hatte. Der alte Meister Christof Emil Greiff von St. Goarshausen hat in seinen Aufzeichnungen einen beachtungswerten Vermerk hinterlassen. Anläßlich einer Verlobung mit einer Müllerstochter aus der Hasenbach, die damals zum Teil zur Gemarkung Nochern gehörte, schreibt er:

„Am 10. July 1767 haben wir die Versprechung auf dem Amt Reichenberg gehalten und zugleich auch zu Nochern bei dem Herrn Magister. Hernach ist in der Heisener Bach die Handstreich gehalten worden. Am 11. July habe ich mich auf dem Amt Rheinfels gezeigt, habe es auch schriftlich bekommen und zugleich an die Herren Geistlichen geschickt.“

Erst nach dieser gnädigen Bewilligung seitens der landgräflichen Ämter durfte er heiraten.

In dieser Lebensform dämmerte das Städtchen St. Goarshausen zwischen seinen engen Mauern jahrhundertelang dahin, bis mit dem Anbruch der neuen Zeit ein frischer Wind in den alten Moder hineinblies und an allen Enden neues Leben erweckte. Aber so gänzlich unvermittelt ging das nicht. Noch mancher Zopf blieb hängen, der erst abgeschnitten werden mußte. Wir verweisen in dieser Hinsicht auf die Kapitel „Gerichtswesen und Rechtspflege“, „Verwaltung und Bürgertum“, „Schulwesen“, „Post- und Verkehrswesen“ usw.

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Die hier vorgestellten Ansichten entsprechen weder denen der Urheber dieser Internetseite noch möglicherweise dem modernen Stand der Geschichtsforschung.

Wir verweisen auf das einleitende Kapitel zur Erläuterung.